1) Die Veränderung von etwas.

1906
One says that education is a process of othering, meaning thereby that every experience by which one becomes other than he was before, is educative, and that the sum of such othering experiences constitutes one’s education.
John Alexander Hull Keith: Elementary Education. Its Problems and Processes, Chicago 1906, S. 12.

1910
The process of ‘othering’ […] is the essential contribution of Hegelianism to logic—the insistence that an idea is not a mere algebraic symbol, but that it is an act in which things pass into new interaction.
Addison Webster Moore: Pragmatism and its Critics, Chicago 1910, S. 81.

1920
Where there is change, there is of necessity numerical plurality, multiplicity, and from variety comes opposition, strife. Change is alteration, or “othering” and this means diversity. Diversity means division, and division means two sides and their conflict. The world which is transient must be a world of discord, for in lacking stability it lacks the government of unity.
John Dewey: Reconstruction in Philosophy, New York 1920, S. 108.

 

2) Die Wahrnehmung und Darstellung einer Person oder (kulturelle) Gruppe von Personen als grundlegend anders und fremd, besonders von Seiten einer herrschenden oder dominanten Gruppe.

1980
A corroboration of Derrida’s insistence that the suppression of othering or iteration carries an ethico-political charge is borne out by the fact that, in the usage of the modern languages of Northern India, “itara”—other—means not only “inferior” but is also the name of the untouchable castes.
Gayatri Chakravorty Spivak: Revolutions that yet have no model: Derrida’s limited inc, in: Diacritics 10 (1980), S. 29-49, hier S. 39.

1985
We are once again witnessing the production of othering. Here the native states are being distinguished from “our [colonial] governments.” […] If the project of Imperialism is violently to put together the episteme that  will “mean” (for others) and “know” (for the self) the colonial subject as history’s nearly-selved other, the example of these deletions indicate explicitly what is always implicit: that meaning/knowledge intersects power.
Gayatri Chakravorty Spivak: The Rani of Sirmur. An essay in reading the archives, in: History and Theory 24 (1985), S. 247-272, hier S. 255.

1990-91
racial and sexual Othering
Jeffrey Louis Decker: Terrorism (Un) Veiled: Frantz Fanon and the Women of Algiers, in: Cultural Critique 17 (1990-91), S. 177-195, hier S. 188.

1993
Das »Objekt« der Ethnographie gilt nicht mehr als einfach gegeben, als Gegen-Stand entstehen die Anderen erst im Forschungs- oder allgemeiner im Interaktionsprozeß selbst: »othering« wird zu einer Leitvokabel, in der sich die Problematik der ethnographischen Erkenntnis bündelt.
Eberhard Berg und Martin Fuchs: Phänomenologie der Differenz. Reflexionsstufen ethnographischer Repräsentation, in: dies. (Hg.): Kultur, soziale Praxis, Text. Die Krise der ethnographischen Repräsentation, Frankfurt am Main 1993, S. 11-108, hier S. 72f.

1997
» […] Wie positiv seine Absicht auch war, so bleibt doch das Paradox, daß Afrika und die Afrikaner in diesem Prozeß erneut zu Anderen gemacht werden.« (Boddy 1994: 8) Das Wort, das Boddy hier benutzt, lautet »to other«, ein Amerikanismus, den man auf Deutsch unter Umständen mit »Ver-Anderung« wiedergeben könnte. Der hier erhobene Vorwurf des »othering« hat gegenwärtig Konjunktur. Auf kulturanthropologischen Tagungen wird er in schöner Regelmäßigkeit immer dann formuliert, wenn ein Vortrag darauf abzielt, eine andere »Kultur« darzustellen, also zu zeigen, daß das Handeln oder Denken von Angehörigen einer anderen ethnischen Gruppe oder Religion einer anderen »Logik« folgt als derjenigen, die uns vertraut ist. Es heißt dann etwa, der Vortrag »dichotomisiere«, er stelle »uns« den Anderen gegenüber ‒ the West to the rest (bzw. dem Orient den Okzident, dem Islam das Christentum, dem Mittelmeerraum Nordeuropa). Halten wir zunächst fest, daß dieser Vorwurf auch dann aufrechterhalten wird, wenn, wie oben von Janice Boddy, konzediert wird, daß die Beschreibung positiv ist (d. h. wenn sie nicht im Gestus der Reaffirmation des Eigenen, sondern im Gestus seiner kritischen Infragestellung erfolgt). Auch das als positiv repräsentierte Andere ist problematisch ‒ und zwar deshalb, weil die Vermutung existiert, daß jede Konstatierung von Differenz (und sei sie noch so positiv gemeint) Hierarchie, also Macht, Unterordnung, Ausgrenzung ‒ wenn nicht gar Vernichtung ‒ impliziert oder nach sich zieht. Der Vorwurf des »othering« wird deshalb nicht selten mit einem deutlich moralisierenden Unterton erhoben. An dem Vorwurf ist die direkte Verkehrung der Bewertung von Differenz in den letzten zwanzig Jahren bemerkenswert. Anfang der siebziger Jahre stand die Betonung einer radikalen Differenz im Zusammenhang mit dem Einspruch gegen einen als unkritisch empfundenen Begriff der Moderne, wie er in Entwicklungstheorien (kapitalistischer oder marxistischer Provenienz) formuliert wurde. Die Berufung auf Kultur stand dabei nicht selten im Zusammenhang mit der Absicht, das Heterogene und Sperrige an sozialen Phänomenen zur Geltung zu bringen.
Werner Schiffauer: Fremde in der Stadt, Frankfurt am Main 1997, S. 158.

1998
Im Prozeß des Othering werden andere Menschen oder Menschengruppen als negativ besetzte, hierarchisch untergeordnete Folie benutzt, vor der sich das positiv besetzte, übergeordnete Konstrukt der Identität abhebt.
Annegreth Horatschek: Alterität und Stereotyp. Die Funktion des Fremden in den ‚International Novels‘ von E.M. Foster und D.H. Lawrence, Tübingen 1998, S. 226.

 

Literatur

Kerstin Gernig (Hg.): Fremde Körper. Zur Konstruktion des Anderen in europäischen Diskursen, Berlin 2001.

Nelly Oudshoorn: Eine natürliche Ordnung der Dinge? Reproduktionswissenschaften und die Politik des „Othering“, in: Ilse Lenz, Lisa Mense und Charlotte Ullrich (Hg.): Reflexive Körper? – Zur Modernisierung von Sexualität und Reproduktion, Opladen 2004.

Sune Qvotrup Jensen: Othering, identity formation and agency, in: Qualitative Studies 2 (2011), S. 63–78.

Lajos Brons: Othering, an analysis, in: Transcience 6 (2015), S. 69-90.

María do Mar Castro Varela und Paul Mecheril (Hg.): Die Dämonisierung der Anderen. Rassismuskritik der Gegenwart, Bielefeld 2016.

Christine Riegel: Bildung ‒ Intersektionalität – Othering. Pädagogisches Handeln in widersprüchlichen Verhältnissen, Bielefeld 2016.

Marissa Sonnis-Bell et al. (Hg.): Strangers, Aliens, Foreigners. The Politics of Othering from Migrants to Corporations, Leiden 2019.