45 v. Chr.
hic autem, ubi habitamus, non intermittit suo tempore Caelum nitescere, arbores frondescere, Vites laetificae pampinis pubescere, Rami bacarum ubertate incurvescere, Segetes largiri fruges, florere omnia, Fontes scatere, herbis prata convestirier, tum multitudinem pecudum partim ad vescendum, partim ad cultus agrorum, partim ad vehendum, partim ad corpora vestienda, hominemque ipsum quasi contemplatorem caeli ac deorum cultorem atque hominis utilitati agros omnis et maria parentia ‒: Haec igitur et alia innumerabilia cum cernimus, possumusne dubitare, quin iis praesit aliquis vel effector, si haec nata sunt, ut Platoni videtur, vel, si semper fuerunt, ut Aristoteli placet, moderator tanti operis et muneris? [hier aber, wo wir wohnen, bleibt es niemals aus, „daß der Himmel glänzt, die Bäume sich belauben, die Trauben der heiteren Rebe schwellen, die Zweige unter der Fülle der Beeren sich biegen, die Saaten Früchte spenden, alles blüht, die Quellen schäumen und die Wiesen sich mit Gras kleiden“ ‒ dann die Menge des Viehs teils zu unserer Ernährung, teils zum Bebauen der Äcker, teils als Zugtiere, teils um unsern Körper zu bekleiden ‒ endlich den Menschen selbst als einen Beschauer des Himmels, Verehrer der Götter und dem zu Nutzen alle Felder und Meere gehorchen ‒ wenn wir dies und unzähliges andere betrachten, können wir dann zweifeln, daß darüber ein Schöpfer steht, ‒ wenn es nämlich entstanden ist, wie Platon glaubt; oder wenn es ewig ist, wie Aristoteles meint, dann ein Lenker dieses großen Werkes und Geschäftes?] […]
est enim philosophia paucis contenta iudicibus, multitudinem consulto ipsa fugiens eique ipsi et suspecta et invisa [die Philosophie ist mit wenigen Richtern zufrieden, meidet mit Absicht die Menge und ist gerade ihr verhaßt und verdächtig]
Cicero: Tusculanae Disputationes (dt. Übers. von Olof Gigon, Berlin 1998), lib. I, 69f.; II, 4.

426
in caeli et terrae et maris multimoda et uaria pulchritudine, in ipsius lucis tanta copia tam que mirabili specie, in sole ac luna et sideribus, in opacitatibus nemorum, in coloribus et odoribus florum, in diuersitate ac multitudine uolucrum garrularum atque pictarum, in multiformi specie tot tantarum que animantium, quarum illae plus habent admirationis, quae molis minimum (plus enim formicularum et apicularum opera stupemus quam inmensa corpora ballaenarum)
[Die vielgestaltige und wechselnde Schönheit des Himmels, der Erde, des Meeres, die Fülle und wunderbare Pracht des Lichtes, die Sonne, der Mond, die Gestirne, die grünen Wälder, Farben und Duft der Blumen, die geschwätzige und buntgefiederte Vogelwelt in ihrer reichen Zahl und Abstufung, die mannigfachen Erscheinungen der übrigen Tierwelt, von der die kleinsten Arten noch die meiste Bewunderung erwecken [über die Tätigkeit der winzigen Ameisen und Bienen staunen wir in der Tat mehr als über die ungeheuren Leiber der Wale]
[Shall I speak of the manifold and various loveliness of sky, and earth, and sea; of the plentiful supply and wonderful qualities of the light; of sun, moon, and stars; of the shade of trees; of the colours and perfume of flowers; of the multitude of birds, all differing in plumage and in song; of the variety of animals, of which the smallest in size are often the most wonderful,—the works of ants and bees astonishing us more than the huge bodies of whales]
Aurelius Augustinus: De civitate Dei, XXII, 24 [dt. Übers. Alfred Schröder, 1911-16; engl. Übers. M. Dods 1871].

1265/66
Si ergo naturale est homini quod in societate multorum vivat, necesse est in hominibus esse per quod multitudo regatur.
Multis enim existentibus hominibus et unoquoque id, quod est sibi congruum, providente, multitudo in diversa dispergeretur, nisi etiam esset aliquis de eo quod ad bonum multitudinis pertinet curam habens; sicut et corpus hominis et cuiuslibet animalis deflueret, nisi esset aliqua vis regitiva communis in corpore, quae ad bonum commune omnium membrorum intenderet […]
Si igitur liberorum multitudo a regente ad bonum commune multitudinis ordinetur, erit regimen rectum et iustum, quale convenit liberis. […]
ea, quae sunt ad naturam, optime se habent: in singulis enim operatur natura, quod optimum est. Omne autem naturale regimen ab uno est. In membrorum enim multitudine unum est quod omnia movet, scilicet cor; et in partibus animae una vis principaliter praesidet, scilicet ratio. Est etiam apibus unus rex, et in toto universo unus Deus factor omnium et rector. Et hoc rationabiliter. Omnis enim multitudo derivatur ab uno. Quare si ea quae sunt secundum artem, imitantur ea quae sunt secundum naturam, et tanto magis opus artis est melius, quanto magis assequitur similitudinem eius quod est in natura, necesse est quod in humana multitudine optimum sit quod per unum regatur.
Hoc etiam experimentis apparet. Nam provinciae vel civitates quae non reguntur ab uno, dissensionibus laborant et absque pace fluctuant
[Wenn es also der natürlichen Bestimmung des Menschen entspricht, in Gesellschaft mit vielen zu leben, so muß unter den Menschen etwas sein, wodurch die vielen gelenkt werden. Wären nämlich viele Menschen beisammen und jeder nur auf das bedacht, was ihm selbst angemessen erscheint, so würde die Gesellschaft nach entgegengesetzten Richtungen auseinandergeraten, falls nicht eben jemand da wäre, der für das Sorge trägt, was das Wohl der Gesellschaft betrifft. So würde sich ja auch der Leib des Menschen und jedweden Geschöpfes auflösen, wenn es nicht eine gemeinsame leitende Kraft im Körper gäbe, die auf das gemeinsame Wohl aller Glieder bedacht ist. […]
Wenn also eine Gesellschaft von Freien von ihrem Führer auf das Gemeinwohl der Gesellschaft hingelenkt wird, so wird diese Regierung recht und gerecht sein, wie es Freien angemessen ist. […]
Es ist immer das das Beste, was der Natur entspricht; in den einzelnen wirkt die Natur immer das Beste. Alle Führung in der Natur geht aber von einem einzelnen aus. In der Vielheit der Glieder ist ein einziges, das alle lenkt: das Herz; innerhalb der Seele hat eine beherrschende Kraft die Führung: die Vernunft. Auch die Bienen haben eine Königin, und in der ganzen Welt ist ein Gott, der alles erschaffen hat und nach seinem Willen lenkt. Der Grund dafür ist durch eine verstandesgemäße Überlegung zu finden. Alle Vielheit leitet sich von einer Einheit ab. Wenn daher die Werke der Kunst die Werke der Natur nachzubilden bemüht sind und ein Kunstwerk immer besser ist, je mehr es die Ähnlichkeit mit seinem Vorbilde erreicht, so muß es auch in der Gesellschaft der Menschen das Beste sein, daß sie von einem geführt sind.Auch aus der Erfahrung ergibt sich das. Die Provinzen oder Städte, die nicht von einem regiert werden, leiden an inneren Zwistigkeiten. Fern davon, im Frieden zu leben, sind sie in beständiger Unruhe,]
Thomas von Aquin: De regimine principum (De regno ad regem Cypri) (1265/66) I, 1; 2; 3, in: http://www.corpusthomisticum.org/orp.html; dt. Über die Herrschaft der Fürsten, übers. v. Friedrich Schreyvogl, Stuttgart 1994, S. 10; 12; 17f.

1266-73
Ordinare autem aliquid in bonum commune est vel totius multitudinis, vel alicuius gerentis vicem totius multitudinis. Et ideo condere legem vel pertinet ad totam multitudinem, vel pertinet ad personam publicam quae totius multitudinis curam habet. Quia et in omnibus aliis ordinare in finem est eius cuius est proprius ille finis.
[das Gesetz beschäftige sich in erster Linie mit dem Gemeinbesten. Etwas bestimmen aber zum gemeinen Besten ist entweder Sache aller derer, welche die Gemeinschaftlichkeit zusammensetzen, oder dessen, der an der Spitze steht und die gemeinschaftlichen Angelegenheiten verwaltet. Also entweder allen zusammen kommt es zu, Gesetze zu gründen oder dem an der Spitze Stehenden. Denn auch in allen anderen Dingen ist es die Sache dessen, zum Zwecke hinzubeziehen, dem jener Zweck als ihm besonders eigener zukommt.]
Thomas von Aquin: Summa theologiae II/1, quaest. 90, art. 3; https://bkv.unifr.ch.

1587
nota, hanc potestatem [scil. politicam potestatem] immediatè esse tanquam in subiecto, in tota multitudine; nam haec potestas est de iure divino, at ius divinum nulli homini particulari dedit hanc potestatem, ergo dedit multitudini; praeterea sublato iure positivo, non est maior ratio cur ex multis aequalibus unus potius, quàm alius dominetur. igitur potestas totius es multitudinis; deniq; humana societas debet esse perfecta Respub. ergo debet habere potestatem seipsam conservandi, & proinde puniendi perturbatores pacis, & c.
[[Es] ist zu bemerken, daß diese Gewalt [d.i. die bürgerliche Gewalt] unmittelbar, gleichsam wie bei einem Subjecte, bei der ganzen Menge ruht. Denn diese Gewalt ist göttlichen Rechtes, das göttliche Recht hat aber keinem Einzelnen diese Gewalt gegeben, also dem Volke. Ueberdies ist nach Aufhebung des positive Rechtes kein verwiegender Grund vorhanden, weshalb unter vielen Gleichen einer vor dem andern herrschen soll. Die Gewalt ruht also bei der Menge. Endlich muß die menschliche Gesellschaft ein vollkommenes Gemeinwesen sein, muß also die Gewalt haben, sich selbst zu bewahren und sofrt die Friedensstörer zu strafen.
Roberto Bellarmino: Disputationes de Controversiis Christianae Fidei, Bd. I, 5. De membris ecclesiae militantis, Ingolstadt 1587, S. 437 (III, 6) [dt. Streitschriften über die Kampfpunkte des christlichen Glaubens, übers. von Viktor Philipp Gumposch, Bd. 5, Augsburg 1847, S. 580].

um 1660
La multitude qui ne se réduit pas à l’unité, est confusion. L’unité qui n’est pas multitude, est tyrannie.
Blaise Pascal: Pensées, in: Continuation des mémoires de littérature et d’histoire 5, 2 (1728), S. 328.

1675-6
Hoc jus, quod multitudinis potentia definitur, Imperium appellari solet. Atque hoc is absolute tenet, qui curam reipublicae ex communi consensu habet, nempe jura statuendi, interpretandi, et abolendi, urbes muniendi, de bello, et pace decernendi, etc. Quod si haec cura ad concilium pertineat, quod ex communi multitudine componitur, tum imperium democratia appellatur, si autem ex quibusdam tantum selectis, aristocratia, et si denique reipublicae cura, et consequenter imperium penes unum sit, tum monarchia appellatur.
[Dieses Recht, das durch die Macht der Menge definiert wird, nennt man als Regierungsgewalt gewöhnlich die Souveränität des Staates. Derjenige hat sie vollkommen in Händen, dem aus gemeinsamer Übereinstimmung heraus die Verwaltung der Staatsgeschäfte obliegt; zu ihr gehört insbesondere, Rechtsgesetze zu erlassen, auszulegen und aufzuheben, Städte zu befestigen, über Krieg und Frieden zu entscheiden und anderes mehr. Kommt diese Aufgabe einer Versammlung zu, die sich aus der gesamten Menge zusammensetzt, dann nennt man den Staat Demokratie; man nennt ihn Aristokratie, wenn sich die Versammlung nur aus einigen Auserwählten zusammensetzt; liegt schließlich die Verwaltung der Staatsgeschäfte, und folglich die Souveränität, in den Händen nur einer Person, dann nennt man ihn Monarchie.]

Baruch de Spinoza: Tractatus politicus (1675-6), in: Opera posthuma, Amsterdam 1677, S. 265-354, hier S. 276; dt. Politischer Traktat, übers. von Wolfgang Bartuschat, Hamburg 1994, S. 28 (II, 17).

1712
Nor is his Goodness less seen in the Diversity, than in the Multitude of living Creatures.
Joseph Addison: [Letter], in: Spectator No. 519, 25.
Okt. 1712, S. 1.

1730er
La fausse Démocratie tombe bientôt dans l’Anarchie, c’est le Gouvernement de la multitude
pour le bonheur d’un Etat, il falloit maintenir l’égalité entre Citoyens autant qu’il se pouvoit
René Louis Marquis d’Argenson: Considérations sur le gouvernement ancien et présent de la France, Amsterdam 1764, S. 7.

1846
Der er een Anskuelse af Livet, som mener, at der hvor Mængden er, er ogsaa Sandheden, at det er en Trang i Sandheden selv, at den maa have Mængden for sig. Der er en anden Anskuelse af Livet; den mener, at overalt hvor Mængde er er Usandheden, saaa hvis end alle Enkelte, hver for sig i Stilhed havde Sandheden, vilde dog, dersom de kom sammen i Mængde (saaledes dog, at Mængden fik nogensomhelst afgjørende, stemmende, larmende, lydelig Betydning) Usandheden strax være tilstædeb. Men Den, som vedkjender sig denne (sidste) Anskuelse, (der da sjeldent foredrages, thi dette forekommer oftere, at en Mand troer, at Mængden er i Usandheden, men naar denc blot vil antage hans Mening saa er alt rigtigt), han tilstaaer jo | selv, at han er den Svage og Afmægtige; hvorledes skulde ogsaa en Enkelt kunne staae mod de Mange, der have Magten! Og dette kunde han da ikke ønske, at have Mængden paa sin Sid: det var jo at spotte sig selv. Men er saaledes denne Anskuelse fra Første af Svaghedens og Afmagtens Indrømmelse, og synes den maaskee derfor saa lidet indbydende: saa har den det Gode, at den er ligelig, at den Ingen fornærmer, ikke een Eneste, at den ingen Forskjel gjør, ikke paa een Eneste. Mængden dannes jo af Enkelte; det maa altsaa staae i Enhvers Magt at blive hvad han er: en Enkelt; fra at være en Enkelt er Ingen, Ingen, Ingen udelukket, uden den som udelukker sig selv – ved at blive Mange. At blive Mængde, at samle Mængde om sig er derimod Livets Forskjellighed; selv den meest Velmenende der taler derom kan let fornærme en Enkelt. Men saa har Mængden igjen Magt, Indflydelse, Anseelse og Herredømme – det er ogsaa Livets Forskjellighed, der herskende overseer den Enkelte som den Svage og Afmægtige, timeligt-verdsligt overseer den evige Sandhed: den Enkelte.
[Es gibt eine Anschauung vom Leben, welche meint, dass dort, wo die Menge [engl. Übers. 2011: multitude] sei, auch die Wahrheit sei, dass es der Wahrheit selbst ein Bedürfnis sei, die Menge für sich zu haben. Es gibt eine andere Anschauung vom Leben; sie meint, dass überall, wo Menge sei, die Unwahrheit sei, so dass selbst wenn alle Einzelnen, jeder für sich, die Wahrheit im Stillen hätten, dennoch die Unwahrheit sogleich zur Stelle wäre, falls sie in Menge zusammenkämen (und zwar so, dass die Menge irgendeine entscheidende, abstimmende, lärmende, laute Bedeutung bekäme). Wer sich aber zu dieser (letzten) Anschauung bekennt, (die doch selten vorgetragen wird, denn das kommt öfter vor, dass ein Mann glaubt, die Menge sei in der Unwahrheit, aber wenn sie nur seine Meinung annehmen will, so ist alles richtig), der gesteht ja selbst, dass er der Schwache und Ohnmächtige ist; wie sollte auch ein Einzelner den Vielen widerstehen können, die die Macht haben! Und dies könnte er dann nicht wünschen, die Menge auf seiner Seite zu habend: das hieße ja seiner selbst spotten. Ist aber diese Anschauung somit von Anfang an ein Eingeständnis der Schwäche und Ohnmacht, und erscheint sie vielleicht darum so wenig einladend: so hat sie [immerhin] das Gute, dass sie alle gleich behandelt, dass sie niemanden beleidigt, nicht einen einzigen, dass sie keinen Unterschied macht, nicht mit einem einzigen. Die Menge wird ja aus Einzelnen gebildet; es muss also in der Macht eines jeden stehen, zu werden, was er ist: ein Einzelner; niemand, niemand, niemand ist davon ausgeschlossen, ein Einzelner zu sein, außer dem, der sich selbst ausschließt – indem er viele wird. Menge zu werden, Menge um sich zu sammeln, ist dagegen die Verschiedenheit des Lebens; selbst der Wohlmeinendste, der davon redet, kann einen Einzelnen leicht verletzen. Aber dann hat die Menge wieder Macht, Einfluss, Ansehen und Herrschaft – auch das ist die Verschiedenheit des Lebens, die herrschend den Einzelnen als den Schwachen und Ohnmächtigen übersieht, zeitlich-weltlich die ewige Wahrheit übersieht: den Einzelnen.]
Søren Kierkegaard: [Journaleintrag von 1846], in: Søren Kierkegaards Skrifter ved Karsten Kynde (online: sks.dk), NB:64 1846 Til den Dedication; dt. Deutsche Søren Kierkegaard Edition, Bd. 4. Journale und Aufzeichnungen, Journale NB-NB5, Berlin 2013, S. 60f.; engl. Übers.
Kiergegaard’s Journals and Notebooks, vol. 4. Journals NB-NB5, Princeton 2011, S. 54f.

1948
When men began to analyze their impressions, to ask themselves in what this strange spell that wild places held over them consisted, they found the situation exceedingly complex. It depended in the first place upon the multitude and diversity of the living creatures that surrounded them.
Alexander Skutch: Earth and man, in: Audubon Magazine 50 (1948), S. 356-359, hier S. 358.

2000
Spinoza de
nes democracy as the absolute form of government because in democracy all of society, the entire multitude, rules; in fact, democracy is the only form of government in which the absolute can be realized.
Michael Hardt und Antonio Negri: Empire, Cambridge, Mass. 2000, S. 185.

2004
The people is one. The population, of course, is composed of numerous different individuals and classes, but the people synthesizes or reduces these social differences into one identity. The multitude, by contrast, is not unified but remains plural and multiple. This is why, according to the dominant tradition of political philosophy, the people can rule as a sovereign power and the multitude cannot. The multitude is composed of a set of singularities—and by singularity here we mean a social subject whose difference cannot be reduced to sameness, a difference that remains different. The component parts of the people are indifferent in their unity; they become an identity by negating or setting aside their differences. The plural singularities of the multitude thus stand in contrast to the undifferentiated unity of the people. The multitude, however, although it remains multiple, is not fragmented, anarchical, or incoherent. […]
The multitude designates an active social subject, which acts on the basis of what the singularities share in common. The multitude is an internally different, multiple social subject whose constitution and action is based not on identity or unity (or, much less, indifference) but on what it has in common. […] The multitude is the only social subject capable of realizing democracy, that is, the rule of everyone by everyone. […]
something like a concept of the multitude has long been part of powerful streams of feminist and antiracist politics. When we say that we do not want a world without racial or gender difference but instead a world in which race and gender do not matter, that is, a world in which they do not determine hierarchies of power, a world in which differences express themselves freely, this is a desire for the multitude. And, of course, for the singularities that compose the multitude, in order to take away the limiting, negative, destructive character of differences and make differences our strength (gender differences, racial differences, differences of sexuality, and so forth) we must radically transform the world. […]
A multitude is an irreducible multiplicity; the singular social differences that constitute the multitude must always be expressed and can never be flattened into sameness, unity, identity, or indifference. The multitude is not merely a fragmented and dispersed multiplicity.
Michael Hardt und Antonio Negri: Multitude. War and Democracy in the Age of Empire, New York 2004, S. 99; 100; 101; 105.

2013
Für Hobbes ist schon sprachlich klar, dass die multitudo »von Natur aus nicht aus Einem, sondern aus Vielen besteht [naturally is not One, but Many]«. Die politische Konsequenz folgt dieser begrifflichen Linie: Der Staat kann nur auf der Einheit des Volkes, nicht auf der Vielheit der multitudo begründet werden. Man kann nur spekulieren, inwieweit Spinozas hier völlig gegenläufige Entscheidung, im Tractatus politicus das Wort populus nicht zu verwenden und der multitudo genau die staatsbegründende Funktion zuzusprechen, die Hobbes ihr abgesprochen hatte, strategisch intendiert war. Aber der systematische Punkt ist hier wichtiger als der terminologische: Die Einheit oder Verfasstheit, die Hobbes fordert und die die Menge erst zum Volk macht, ist für Spinoza gerade keine Voraussetzung der Gründungskraft. Es ist im Gegenteil genau die Vielfalt oder Heterogenität, aus der staatliche Ordnung entsteht und die ihre Energie an die Institutionen weitergibt oder in sie einfließen lässt. Der Grund der Staatsmacht ist also nicht einer, der sich schon vereinheitlichen ließe oder dem eine einheitliche Form als fixiertes, repräsentierbares Staatsvolk gegeben werden könnte. Er bleibt die Menge Unterschiedliches vermögender, Unterschiedliches begehrender Individuen. Der anarchische Charakter der multitudo ist – paradoxerweise – der Grund, auf dem ein Staat zu errichten ist. […]
[Es gilt], dass die Existenzweise einer Menge, die »wie von einem Geist geführt wird«, nichts Statisches, kein Zustand ist. Wer erläutern will, was eine solche Menge ist, muss verweisen auf die Form, in der sie handelt. Denn als nur lose Einheit differenter Individuen hat sie selbst keine Identität, die sich substantiell beschreiben ließe, und besitzt streng genommen auch kein kollektives Vermögen. Was sie tut, wenn sie »wie von einem Geist geführt wird«, ist, dass sie handelt, das heißt, dass ihre Mitglieder handeln, einzeln, als einzelne Akteure, aber zusammen. Die Quasi-Einheit, die gestiftet wird von einer multitudo, die eine stabile und »vernünftige« politische Umwelt teilt, ist ein Handlungszusammenhang. Dieser besteht streng genommen nicht für sich, seine realen Elemente sind die Individuen, die in ihm stehen und je für sich handeln, aber dies tun sie zusammen, nebeneinander und damit im Teilen eines Handlungskontextes, vielleicht sogar (aber nicht notwendigerweise) eines Handlungsziels; die multitudo ist eine »Handlungsgemeinschaft«.
Martin Saar: Die Immanenz der Macht. Politische Theorie nach Spinoza, Frankfurt am Main 2013, S. 354f.; 360

 

Literatur

Michael Hardt und Antonio Negri: Multitude. War and Democracy in the Age of Empire, dt. Multitude, Frankfurt am Main 2004.

Paolo Virno: Grammatik der Multitude, Berlin 2005.