um 600 v. Chr.
es [freut] mich nicht […], daß die Edlen den gleichen Anteil [ἰσομοιρίαν] an der ertragreichen Erde des Vaterlandes wie die Schlechten besitzen sollten […]
Gesetze schrieb ich für den Niedrigen und den Edlen auf gleiche Weise [ὁμοίως] und für jedermann gestaltete ich gerades Recht.
Solon, nach Aristoteles: Staat der Athener 12, 3; 4, übers. von Mortimer Chambers, Berlin 1990.

um 500 v. Chr.
So wie Harmodios und Aristogeiton, da den Tyrannen sie erschlugen, gleiches Recht den Athenern schufen [ἰσονόμους τ Ἀθήνας ἐποιησάτην]
»Tyrannen-Skolion« (um 500 v. Chr.), nach Athenaios von Naukratis: Das Gelehrtenmahl (2./3. Jh.), übers. von Ursula und Kurt Treu, Leipzig 1985, S. 423.

um 410 v. Chr.
[Gefallenenrede des Perikles, 430/431 v. Chr.] Wir haben eine Ordnung des Zusammenlebens, die nicht die Gesetze der Nachbarn zu kopieren trachtet, sind vielmehr selbst eher so manchem Vorbild, als dass wir die anderen nachahmten. Und mit Namen wird sie, weil alles nicht mit Blick auf wenige, sondern auf Mehrheiten organisiert ist, Demokratie genannt; es steht gemäß den Gesetzen allen bei der Verfolgung ihrer privaten Interessen das Gleiche [τὸ ἴσον] zu, was aber das gesellschaftliche Ansehen betrifft, wie jeder sich auf irgendeinem Feld Respekt verschafft, so folgt hier die Bevorzugung im öffentlichen Leben nicht aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, sondern aus der Leistung, und andererseits ist keiner im Hinblick auf Begrenztheit seiner Mittel, wenn er nur etwas Gutes für die Stadt beizutragen hat, durch Mangel an Ansehen ausgeschlossen.
Thukydides: Der Peloponnesische Krieg, übers. von Michael Weißenberger, Berlin 2017, S. 353 (II, 37).

um 400 v. Chr.
von Natur sind alle in jeder Hinsicht gleich, ob Barbaren oder Hellenen. Das kann man aus dem erkennen, was von Natur für alle Menschen notwendig ist. Alle haben die Möglichkeit, es sich auf demselben Wege zu verschaffen, und in alle diesem ist weder ein Barbar von uns verschieden noch ein Hellene. Denn wir atmen alle durch Mund und Nase in die Luft aus, und wir essen alle mit den Händen
Antiphon: [Fragment 12], in: Wilhelm Capelle (Übers.): Die Vorsokratiker, Stuttgart 1968, S. 377.

um 385 v. Chr.
αἱ μὲν γὰρ ἄλλαι πόλεις ἐκ παντοδαπῶν κατεσκευασμέναι ἀνθρώπων εἰσὶ καὶ ἀνωμάλων, ὥστε αὐτῶν ἀνώμαλοι καὶ αἱ πολιτεῖαι, τυραννίδες τε καὶ ὀλιγαρχίαι: οἰκοῦσιν οὖν ἔνιοι μὲν δούλους, οἱ δὲ δεσπότας ἀλλήλους νομίζοντες: ἡμεῖς δὲ καὶ οἱ ἡμέτεροι, μιᾶς μητρὸς πάντες ἀδελφοὶ φύντες, οὐκ ἀξιοῦμεν δοῦλοι οὐδὲ δεσπόται ἀλλήλων εἶναι, ἀλλ᾽ ἡ ἰσογονία ἡμᾶς ἡ κατὰ φύσιν ἰσονομίαν ἀναγκάζει ζητεῖν κατὰ νόμον, καὶ μηδενὶ ἄλλῳ ὑπείκειν ἀλλήλοις ἢ ἀρετῆς δόξῃ καὶ φρονήσεως.
andere Staaten sind aus vielerlei und ungleichen Menschen gebildet, daher auch ihre Verfassungen die Ungleichheit darstellen in willkührlicher Herrschaft eines Einzelnen oder Weniger. Sie sind daher so eingerichtet, daß Einige die Andern für Knechte und diese jene für Herren halten. Wir aber und die unsrigen, von Einer Mutter alle als Brüder entsprossen begehren nicht Knechte oder Herren einer des andern zu sein; sondern die natürliche Gleichbürtigkeit nöthiget uns auch Rechtsgleichheit gesetzlich zu suchen, und keinem andern uns einander unterzuordnen als dem Rufe der Tugend und Einsicht.
Platon: Menexenos 238e-239a, übers. von Friedrich Schleiermacher, in: Platons Werke, Zweiten Theiles Dritter Band, Berlin 1809, S. 379f.

um 350 v. Chr.
Ungerecht scheint zu sein: […] der Feind der Gleichheit. Hieraus erhellt denn auch, daß gerecht der sein wird, wer die Gesetze beobachtet und Freund der Gleichheit ist. Mithin ist das Recht das Gesetzliche und das der Gleichheit Entsprechende […]
der Ungerechte wie das Unrecht [verletzen] die Gleichheit […]
darin, daß eine gewisse Würdigkeit das Richtmaß der distributiven Gerechtigkeit sein müsse, stimmt man allgemein überein, nur versteht nicht jedermann unter Würdigkeit dasselbe, sondern die Demokraten erblicken sie in der Freiheit, die oligarchisch Gesinnten im Besitz, andere in edler Abstammung, die Aristokraten in der Tüchtigkeit.
Aristoteles: Nikomachische Ethik 1129a33-b1; 1131a10; 26-29, übers. von Eugen Rolfes, bearb. von Günther Bien.

um 350 v. Chr.
Ein Staat setzt sich […] nicht nur aus einer größeren Anzahl von Menschen zusammen, sondern auch aus solchen, die der Art nach verschieden sind, denn ein Staat entsteht nicht aus Gleichen. […]
Diejenigen, aus denen eine Einheit gebildet werden soll, sind […] wesensmäßig verschieden. Deswegen erhält die Gleichheit des Empfangens gegenseitiger Leistungen die Staaten [διόπερ τὸ ἴσον τὸ ἀντιπεπονθὸς σῴζει τὰς πόλεις] […]
Es gibt […] zwei Arten von Gleichheit, eine der Zahl, die andere dem Wert nach: als (gleich) der Zahl nach bezeichne ich, was der Anzahl oder Grüße nach identisch und gleich ist, als (gleich) dem Wert nach, was in der Proportion identisch ist; z.B.  ist ›drei‹ um den gleichen Betrag der Zahl nach größer als ›zwei‹ und ›zwei‹ als ›eins‹; dagegen ist ›vier‹ in der Proportion (um den gleichen Betrag) größer als ›zwei‹ und ›zwei‹ als ›eins‹. Denn ›zwei‹ bildet den gleichen Bruchteil von ›vier‹ wie ›eins‹ von ›zwei‹; beide Zahlen sind ja jeweils die Hälfte. […]
das demokratische Verständnis von Recht enthält die Forderung, daß (die Bürger) der Zahl und nicht dem Verdienst nach Gleichheit besitzen. Aus diesem Rechtsverständnis folgt notwendigerweise, daß die Menge alle Macht innehat und daß der Beschluß der Mehrheit, wie immer er ausfällt, oberste Gültigkeit besitzt und die Rechtsnorm bildet; denn (die Anhänger der Demokratie) sagen, daß jeder Bürger Gleiches besitzen muß. So ergibt sich, daß in den Demokratien die Armen größere Macht ausüben als die Begüterten; denn jene bilden die Mehrheit, der Beschluß der Mehrheit hat aber absolute Gültigkeit.
Aristoteles: Politik 1261a22-24; 1261a30-31; 1301b29-35; 1317b3-10, übers. von Eckart Schütrumpf, Berlin 1991.

55 v Chr.
Sit ergo in iure civili finis hic: legitimae atque usitatae in rebus causisque civium aequabilitatis conservatio. [Im bürgerlichen Recht sei also dies das höchste Ziel: Sicherung einer in Gesetz und Herkommen verankerten Gleichberechtigung in den privaten Angelegenheiten und Prozessen der Bürger.]
Cicero: De oratore I, 188 [übers. von Theodor Nüßlein, Düsseldorf 2007].

51 v. Chr.
quare cum lex sit civilis societatis vinculum, ius autem legis aequale, quo iure societas civium teneri potest, cum par non sit condicio civium? si enim pecunias aequari non placet, si ingenia omnium paria esse non possunt, iura certe paria debent esse eorum inter se qui sunt cives in eadem re publica. quid est enim civitas nisi iuris societas civium? [Da deshalb das Gesetz ein Band der bürgerlichen Gemeinschaft und das im Gesetz verkörperte Recht für alle gleich ist ‒ auf welches Recht kann sich dann die Gemeinschaft der Bürger gründen, wenn die Rechtsstellung der Bürger nicht gleich ist? Wenn es nämlich nicht durchzusetzen ist, dass die Vermögensverhältnisse bei allen gleich sind, und wenn nicht alle die gleichen Fähigkeiten haben können, dann müssen wenigstens die Rechte der Menschen gleich sein, die Bürger in ein und demselben Staat sind. Denn was ist eine Bürgerschaft, wenn nicht eine Rechtsgemeinschaft?]
Cicero: De re publica I, 48 [übers. von Rainer Nickel, München 2011].

44 v. Chr.
Ius civile est aequitas constituta eis qui eiusdem civitatis sunt ad res suas obtinendas [Bürgerrecht ist durch Beschluß fesgesetzte Gleichheit für Angehörige des gleichen Staates zum Zweck der Wahrung ihrer Angelegenheiten]
Cicero: Topica 2, 9 [übers. von Hans Günter Zekl, Hamburg 1983].

413-26
aequalis felicitatis omnes ab initio creati sunt
Augustinus von Hippo: De civitate dei (413-426) XI, 13.

1520
alle Christen sein warhafftig geystlich stands, unnd ist unter yhn kein unterscheyd […] das macht allis, das wir eine tauff, ein Evangelium, eynen glauben haben, unnd sein gleyche Christen […] Denn nach szo werden wir allesampt durch die tauff zu priestern geweyhet
Martin Luther: An den Christlichen Adel deutscher Nation von des Christlichen standes besserung (1520), in: Weimarer Ausgabe, Bd. 6, Weimar 1888, S. 407.

1530
Das ist ia so klar, […] das inn dem stück daher wir Christen heissen, gar kein ungleicheit noch forzug der personen ist, sondern einer wie der ander, man, weib, jung, alt, gelert, ungelert, edel, unedel, fürst und bawr, herr und knecht, grosser odder kleiner heilige. Wie nun einerley Christus und glaube ist, Gleich wie die Sonn am Himmel einerley ist gegen jderman, leuchtet einem bawrn so wol als einem König, einen blinden so wol als einem scharffsehenden, der saw auff der gassen so wol als der aller schonesten frawen auff erden und scheinet so bald auff einen dorn als auff eine rosen, auff einen kot als auff ein purpur.
Martin Luther: Wochenpredigten über Matth. 5-7 (1530), in: Weimarer Ausgabe, Bd. 32, Weimar 1906, S. 536.

1603
Concordiæ studium inter cives est, quo inter cives amicitia, æquitas, iustitia, pax, honestas conservatur […]. Hanc concordiam fovet æquabilitas & tuetur.
Johannes Althusius: Politica methodice digesta, Herborn 1603, S. 54.

1647
we declare: […] 4. That in all Laws made, or to be made, every person may be bound alike, and that no Tenure, Estate, Charter, Degree, Birth, or Place do confer any exemption from the ordinary Course of Legall proceedings, whereunto others are subjected.
5. That as the Laws ought to be equall, so they must be good and not evidently destructive to the safety and well-being of the people.
[Levellers]: An Agreement of the People for a Firme and Present Peace, upon Grounds of Common-Right and Freedome, London 1647, S. 5.

1684
tous les Savans se doivent regarder comme freres, ou comme d’aussi bonne maison les uns que les autres. Ils doivent dirent: Nous somme tous égaux Nous somme tous parens Comme enfans d’Apollon.
Pierre Bayle: Nouvelles de la republique des lettres, Bd. 1, Amsterdam 1684, A6 [S. 9] (Preface).

1673
l’égalité
des deux sexes […]
s’ils s’opiniâtroient à soûtenir que les femmes sont naturellement dépendantes des hommes, on les combatroit par leurs propres principes, puisqu’ils reconnoissent eux-mêmes, que la dépendance & la servitude sont contraires à l’ordre de la nature, qui rend tous les hommes égaux.
François Poulain de La Barre: De l’égalité des deux sexes, discours physique et moral où l’on voit l’importance de se défaire des préjugez, Paris 1673: Titel; S. 96.

1699
ils s’aiment tous d’un amour fraternel que rien ne trouble; c’est le retranchement des vaines richesses, & des plaisirs trompeurs, qui leur conserve cette paix, cette union & cette liberté; ils sont tous libres, tous égaux.
François Fénelon: Les aventures de Telemaque, Bd. 1, Brüssel 1699, S. 154f.

1710
I am not now arguing for an equality of the two sexes. I do not doubt but that God and nature have thrown us into an inferior rank; we are a lower part of the creation; we owe obedience and submission to the superior sex; and any woman who suffers her vanity and folly to deny this, rebels against the law of the Creator, and indisputable order of nature
Mary Pierrepont: [Brief an den Lord Bishop of Salisbury vom 20. Juli 1710], in: The Works of the Right Honourable Lady Mary Wortley Montagu, Bd. 1, London 1803, S. 182-189, hier S. 187.

1724
Wir handhaben Gerechtigkeit im Gerichte, Treue und Glauben im Handel und Gleichheit unter den Bürgern
Der Patriot 1 (49) (7. Dez. 1724), S. 477.

1748
Dans l’état de nature les hommes naissent bien dans l’égalité; mais ils n’y sauroient rester. La société la leur fait perdre, & ils ne redeviennent égaux que par les Loix. Telle est la différence entre la Démocratie réglée & celle qui ne l’est pas, que dans la première on n’est égal que comme Citoyen
Montesquieu: De l’esprit des lois, Bd. 1, Genf 1748, S. 180 (VIII, 3).

1750
In sensu morali homines æquales sunt, quorum obligationes & jura eadem sunt; ast inæquales, quorum non sunt obligationes & jura eadem. Homines igitur qua homines natura æquales sunt
[Im moralischen Verstande sind die Menschen einander gleich (homines æquales), deren Rechte und Verbindlichkeiten einerley sind; aber ungleich (inæquales) diejenigen, deren Verbindlichkeiten und Rechte nicht einerley sind. Die Menschen sind als Menschen von Natur einander gleich]
Christian Wolff: Institutiones Iuris Naturae et Gentium, Halle 1750, S. 37 (§ 70); dt. Übers. Halle 1754.

1755
Je conçois dans l’Espèce humaine deux sortes d’inégalités ; l’une, que j’appelle naturelle ou Phisique, parce qu’elle est établie par la Nature, & qui consiste dans la différence des âges, de la santé, des forces du Corps & des qualités de l’Esprit ou de l’Ame ; L’autre qu’on peut appeler inégalité morale, ou politique, parce qu’elle dépend d’une sorte de convention, & qu’elle est établie, ou du moins autorisée par le consentement des hommes. Celle-ci consiste dans les différents Privileges, dont quelques-uns jouissent au préjudice des autres, comme d’être plus riches, plus honorés, plus Puissants qu’eux, ou même de s’en faire obéir. […]
J’ai tâché d’exposer l’origine & le progrès de l’inégalité, l’établissement & l’abus des Sociétés politiques, autant que ces choses peuvent se déduire de la Nature de l’homme par les seules lumières de la raison, & indépendamment des dogmes sacrés qui donnent à l’autorité Souveraine la Sanction du Droit Divin.
Il suit de cet exposé que l’inégalité, étant presque nulle dans l’Etat de Nature, tire sa force & son accroissement du développement de nos facultés & des progrès de l’Esprit humain & devient enfin stable & légitime par l’établissement de la propriété et des Lois. Il suit encore que l’inégalité morale, autorisée par le seul droit positif, est contraire au Droit Naturel, toutes les fois qu’elle ne concourt pas en même proportion avec l’inégalité Physique
Jean-Jacques Rousseau: Discours sur l’origine et les fondemens de l’inégalité parmi les hommes, Amsterdam 1755, S. 1f.; 183.

1776
That all men are by nature equally free and independent, and have certain inherent rights, of which, when they enter into a state of society, they cannot, by any compact, deprive or divest their posterity; namely, the enjoyment of life and liberty, with the means of acquiring and possessing property, and pursuing and obtaining happiness and safety.
[George Mason]: Virginia Declaration of Rights (Mai 1776) vom 12. Juni 1776 [http://www.nhinet.org/ccs/docs/va-1776.htm].

1776
We hold these Truths to be self-evident, “that all men are created equal, […]”
[Thomas Jefferson]: The Unanimous Declaration of the Thirteen United States of America, 1776, Preamble.

1775
Es ist eine bekannte Grund-Wahrheit des natürlichen Rechts, daß im Stande der Natur alle Menschen einander gleich sind, das ist, gleiche Rechte haben. Der Stand der Natur (Status naturalis) ist diejenige Betrachtung, da man sich die auf dem Erdboden mit einander lebenden Menschen nur bloß mit den ihnen allen angebohrnen Rechten und Pflichten, also ohne alle solche Rechte und Verbindlichkeiten vorstellt, die durch Verträge und andere verbindliche Handlungen erst erworben werden müssen. […] Es kommt nun nur darauf an, den solchergestalt richtig bestimmten Satz von der natürlichen Gleichheit aller Menschen auch richtig zu beweisen. Wolf und seine Nachfolger sind hiermit sehr bald fertig. Sie sagen: Die angebohrnen Rechte der Menschen fließen aus der menschlichen Natur. Nun ist die Natur aler Menschen einerley; folglich müssen auch die Rechte aller Menschen einerley seyn. Folglich sind auch alle Menschen von Natur einander gleich, und kein Mensch kann sich im Stande der Natur Vorrechte vor dem andern anmaßen. […]
Alle Menschen haben gewisse, angebohrne Rechte. Der höchste Gesetzgeber will, daß die Menschen ihre Kräfte anwenden sollen, um sich vollkommener und glücklicher zu machen, Ein jeder Mensch hat also von Natur das Recht, sich aller seiner Kräfte zu diesem Zweck zu bedienen. Ein Mensch hat daher ein Recht zu allem demjenigen, was seinen Zustand vollkommener machen kann, wenn dadurch nur nicht ein anderer in dem Gebrauche seines Rechts gestört oder beleidigt wird. Der Mensch hat ferner ein angebohrnes Recht, sich bey dem Seinigen und bey seinen Rechten, auch mit Gewalt, zu schützen. Er hat die Befugniß, sich demjenigen, der ihn an dem Gebrauche seiner Rechte hindern will, auch mit Gewalt zu widersetzen. […]
Nunmehr haben wir die Wirklichkeit des Rechts der natürlichen Freyheit hinlänglich erwiesen. Denn darinnen besteht die natürliche Freyheit, daß ein jeder im Stande der Natur, so lange er den andern nicht beleidigt, befugt ist, nach seiner eigenen Einsicht und nach seinem eigenen Wohlgefallen zu handeln, und niemand ihn, unter irgend einem Vorwande, darinnen stören darf. So wenig nun im Stande der Natur ein Mensch um deswillen, weil er mehrere Vollkommenheiten besitzt, als ein anderer, befugt ist, sich einer Direction der Handlungen des andern anzumaßen; eben so wenig ist auch im Stande der Natur ein Mensch befugt, sich sonst eines Vorrechts vor andern anzumaßen. Dieses ist der letzte Punkt, den wir noch zu beweisen haben. Der Schöpfer hat dem Menschen, indem er ihn auf diesen Erdboden gesetzt, ein Recht zu allem demjenigen Guten gegeben, was derselbe sich hält, und durch dessen Gebrauch der Mensch sein Leben ruhiger, bequemer, vergnügter zubringen, kurz, sich glücklich machen kann. Der Grund also, weswegen ein Mensch im Stande der Natur ein Recht auf irgend etwas Gutes, Nützliches und Angenehmes hat, eben derselbe Grund findet sich auch bey jedem andern Menschen. Es würde auch dem Grundsatze der Menschenliebe entgegen seyn, wenn ein Mensch sich hierinnen eines Rechtes anmaßte, das er dem andern nicht zugestehen wollte. Er darf sich nur in die Stelle des andern setzen. […]
Da also die natürliche Freyheit aller Menschen, und zugleich auch dieses bewiesen ist, daß im Stande der Natur kein Mensch Vorrechte vor dem andern hat; so ist nunmehr der Satz von der natürlichen Gleichheit der Menschen vollkommen in Gewißheit gesetzt. Denn darinn besteht diese Gleichheit, daß alle Menschen gleiche Rechte haben, und niemand dem andern etwas zu befehlen hat.
Adolf Friedrich Reinhard: Betrachtungen über die gewöhnlichen Beweise der natürlichen Gleichheit aller Menschen, und wie das Mangelhafte dieser Beweise zu verbessern, in:  Sammlung vermischter Schriftenjuristischer, philosophischer und kritischer Aufsätze, Zweytes Stück, Bützow 1775, S. 80-90, hier S. 80f.; 85; 88f.; 89f.

1786
[Es] war der Mensch in eine Gleichheit mit allen vernünftigen Wesen, von welchem Range sie auch sein mögen, getreten; nämlich, in Ansehung des Anspruchs selbst Zweck zu sein, von jedem anderen auch als ein solcher geschätzt und von keinem bloß als Mittel zu anderen Zwecken gebraucht zu werden. Hierin, und nicht in der Vernunft; wie sie boß als ein Werkzeug zu Befriedigung der mancherley Neigungen betrachtet wird, steckt der Grund der so unbeschränkten Gleichheit des Menschen, selbst mit höheren Wesen, die ihm an Naturgaben sonst über alle Vergleichung vorgehen möchten, deren keines aber darum ein Recht hat, über ihn nach bloßem Belieben zu schalten und zu walten. Dieser Schritt ist daher zugleich mit Entlassung desselben aus dem Mutterschooße der Natur verbunden […]
die Ungleichheit unter Menschen, diese reiche Quelle so vieles Bösen, aber auch alles Guten
Immanuel Kant: Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, in: Berlinische Monatsschrift 7 (1786), S. 1-27, hier S. 11; 20f.

1789
Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits. Les distinctions sociales ne peuvent être fondées que sur l’utilité commune.
Déclaration des droits de l’homme et du citoyen, Paris 1789, Art. 1.

1790
Elles porteront sur leur poitrine ces mots gravés: LE PEUPLE FRANÇAIS, & au-dessous: LIBERTÉ, ÉGALITÉ, FRATERNITÉ. Les mêmes mots seront inscrits sur leurs drapeaux, qui porteront les trois couleurs de la nation
Maximilien Robespierre: Discours sur l’organisation des gardes nationales (Rede vom 5. Dez. 1790), Art. XVI.

1791
La Femme naît libre et demeure égale à l’homme en droits.
Les distinctions sociales ne peuvent être fondées que sur l’utilité commune. […] Nul ne doit être inquiété pour ses opinions mêmes fondamentales, la femme a le droit de monter sur l’échafaud ; elle doit avoir également celui de monter à la Tribune.
Olympe de Gouges: Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne, Paris 1791, S. 1-24, hier S. 7; 9.

1791
Natürliche Gleichheit aller Menschen
a) Jeder ist berechtigt, seine Glückseligkeit zu befördern
Carl Gottlieb Svarez: Grundsätze des Natur- und allgemeinen Staatsrechts (1791), hg. von Hermann Conrad und Gerd Kleinheyer, Köln 1960, S. 5.

1795
die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger) gestiftete Verfassung – die einzige, welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volkes gegründet seyn muß – ist die republikanische. […] [Es] ist äußere (rechtliche) Gleichheit in einem Staate dasjenige Verhältniß der Staatsbürger, nach welchem Keiner den andern wozu rechtlich verbinden kann, ohne daß er sich zugleich dem Gesetz unterwirft, von diesem wechselseitig auf dieselbe Art auch verbunden werden zu können.
Immanuel Kant: Zum ewigen Frieden, Königsberg 1795, S. 20f.

1803
Das Gesetz des Rechtes entspringt aus unserm eignen Innern, wir lernen es nicht von der Natur, sondern wir setzen durch dasselbe als ein Gesetz der Freyheit, die Gesellschaft der Menschen aller Natur entgegen. Aber dennoch finden sich die Menschen nur in der Natur; das Rechtsgesetz kommt also in ihrer Gesellschaft nicht als ein natürlicher Weise schon geltendes Gesetz vor, sondern nur als eine Idee. Es ist nur als eine Aufgabe gegeben, es soll durch die eigne Thätigkeit der Menschen erst unter ihnen eingeführt werden. […]
Das Rechtsgesetz und die Gleichheit, welche durch dasselbe zur obersten Bedingung der vernünftigen Wechselwirkung gemacht wird, ist eine praktische Idee, welche sich als eine nothwendige Aufgabe für die Vernunft ausspricht. Es hängt nicht etwa von beliebigen Verfügungen in der Gesellschaft ab, ob die Menschen sich hier oder dort auf die vernünftigste Weise zusammen vertragen wollen […]. Die Aufgabe der rechtlichen Gleichheit entspringt also ebenfalls aus dieser nothwendigen Gesetzgebung der Vernunft, sie ist kein Vorschlag für einen willkührlichen Zweck, sondern ein nothwendiges Gebot. Wir können den Menschen nicht: nur sagen: Wenn ihr euer gesellschaftliches Leben vernünftig einrichten wollt, so sehe jeder den andern als seines Gleichen an, sondern unsre Idee spricht ihnen das Gebot aus: ihr sollt eure gesellschaftlichen Verhältnisse aufs vernünftigste einrichten, jeder soll den andern als seines Gleichen ansehen. […]
So ist auch in der Rechtslehre die Idee der Gleichheit der Personen, das einzige reine Princip, in der Entwickelung finden sich sogleich politische Bestimmungen hinzu. Aber diese Idee gibt nicht nur dem ganzen Inhalte der Rechtslehre das Gesetz, sondern sie theilt ihr auch durchgängig ihre praktische Nothwendigkeit mit. Es ist daher in der ganzen Rechtslehre eigentlich nie von willkührlichen politischen Verfügungen die Rede, sondern von dem, was in den politischen Einrichtungen durch die Idee der persönlichen Gleichheit als praktisch nothwendig geboten wird. […]
Die Politik beantwortet hier die Frage: Wenn Menschen friedlich d.h. zuletzt nach dem Princip der Gleichheit zusammen leben wollen, wie wollen sie dieß veranstalten? die philosophische Rechtslehre hingegen sagt: ihr sollt nach dem Princip der Gleichheit zusammenleben und eure Gesellschaft demgemäß einrichten. […]
Anstatt der Gleichheit der Gewalt, welche in der Natur gilt, wird für die Freyheit die Gleichheit der Personen zum einzigen Gesetz. Da nun dieses Gesetz für vernünftige Wesen spricht, deren Handlungen durch den Willen bestimmt werden, so muß es auch ein Gesetz des Wollens seyn. Der Wille aber ist thätig nach Zwecken. Die Gleichheit der Personen ist daher für die Freyheit des vernünftigen Willens das höchste Gesetz, nach dem er allein seine Zwecke ansetzen darf. Daher kommt es, daß durch dieses Gesetz die Gemeinschaft der Menschen aus aller Gemeinschaft der Natur herausgehoben wird und sich nur als eine eigene Welt der Freyheit betrachten läßt, in welcher jedem einzelnen Menschen persönliche Würde nothwendig zukommt.
Jakob Friedrich Fries: Philosophische Rechtslehre und Kritik aller positiven Gesetzgebung, Jena 1803, S. VIII; XVIf.; XVIIf.; XVIII; 2f.

1804
Die Verschiedenheit theile ich […] in die zwey contradictorischen species: Gleichheit und Ungleichheit. Sonach setzt Gleichheit die Verschiedenheit voraus.
Bernard Bolzano: Bemerkungen über einige Gegenstände der Elemantargeometrie, Prag 1804, S. 44f.

1809
where love is mutual an entire equality of the two sexes takes place
William Enfield: Principles of Mental and Moral Philosophy, London 1809, S. 223.

1818
Gleiches
Recht der Eingebornen zu allen Graden des Staatsdienstes und zu allen Bezeichnungen des Verdienstes.
Gleiche Berufung zur Pflicht und zur Ehre der Waffen.
Gleichheit der Gesetze und vor dem Gesetze.
Verfassung des Königreichs Bayern vom 26. Mai 1818, Bayerisches Gesetzblatt 1818, S. 101, Präambel.

1835
cette passion de l’égalité prenait chaque jour une place plus grande dans le coeur humain. […]
les hommes ne puissent devenir absolument égaux sans être entièrement libre […]
Ne demandez point quel charme singulier trouvent les hommes des âges démocratiques à vivre égaux […] l’égalité forme le caractère distinctif de l’époque où ils vivent […]
les peuples démocratiques […] veulent l’égalité dans la liberté, et, s’ils ne peuvent l’obtenir, ils la veulent encore dans l’esclavage
Alexis de Tocqueville: De la démocratie en Amérique, Bd. 3, 2.
Aufl. Paris 1835, S. 186; 187; 188; 192.

1848
Alle Preußen sind vor dem Gesetze gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen Aemter sind für alle dazu Befähigten gleich zugänglich.
(Oktroyierte) Verfassung für den preußischen Staat vom 5. Dezember 1848, Art. 4.

1872
The public is almost unanimously agreed, it is no question of ‘woman’s rights;’ the most bitter opponent of female suffrage, &c., is almost as earnest in the matter as the most enthusiastic supporter of the entire equality of the two sexes—that for ladies of the middle class who are compelled to support themselves, or who feel that they ought to contribute to the family income, there are far too few employments open. If not, what is the meaning of the everlasting complaints about the condition of seamstresses and governesses?
Marian Francis Fernando: Woman, Considered Physically, Intellectually, and Socially. A Thesis, London 1872, S.: 81f.

1875
Die drei Fundamentalsätze der [französischen] Revolution: die Gleichheit aller Menschen, die Volkssouveränität und die Abschaffung der Kirche als eine Civilinstitution verkehrten sich im Laufe der Zeit in ihr Gegentheil.
Friedrich von Hellwald: Culturgeschichte in ihrer natürlichen Entwickelung bis zur Gegenwart, Augsburg 1875, S. 720.

1885
les hommes sont partout doués des mêmes qualités et des mêmes défauts, sans distinction de couleur ni de forme anatomique. Les races sont égales; elles sont toutes capables de s’élever aux plus nobles vertus, au plus haut développement intellectuel, comme de tomber dans la plus complète dégénération. […] une chaîne invisible réunit tous les members de l’humanité dans un cercle commun. […] La doctrine de l’égalité des races humaines, apportant une dernière consécration à ces idées rationnelles, deviant ainsi une doctrine régénératrice et éminemment salutaire au développement harmonique de l’espèce
Anténor Firmin: De l’égalité des races humaines, Paris 1885, S. 662.

1910
Gleichheit
ist ein Verhältnis worin Verschiedenes zueinander steht. […]
[Der] Wahrheitswert[], der den Gleichheitsurteilen zukommt[,] […] besteht nicht in der Übereinstimmung mit einem Gegenstande, auch nicht mit einem psychischen Gegenstande. Denn er betrifft nichts als ein Verhältnis, das von den aufeinander im Urteil bezogenen Inhalten gilt.
Wilhelm Windelband: Über Gleichheit und Identität, Heidelberg 1910, S. 8; 15.

1919
Alle Deutschen sind vor dem Gesetze gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.
Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, Reichsgesetzesblatt 1919, S. 1383, Art. 109 (1).

1924
Gleichheit ist nicht gegeben, gegeben sind nur Dinge so ungleich „wie ein Ei dem anderen“, Gleichheit ist immer nur Abstraktion von gegebener Ungleichheit unter einem bestimmten Gesichtspunkt, und diesen Gesichtspunkt vermag für das Gebiet des Rechts nur die Besinnung auf dessen Zweck zu liefern, nur sie auch die Frage nach der Art der Behandlung der als gleich oder ungleich Erachteten der Lösung zuzuführen.
Gustav Radbruch: Die Problematik der Rechtsidee, in: Die Dioskuren. Jahrbuch für Geisteswissenschaften 3 (1924), S. 43-50, hier S. 46.

1927
[Es] ruht der Grundsatz von der Gleichheit vor dem Gesetz in einem ganz spezifischen Naturrecht. […]
Es ist ohne weiteres einleuchtend, daß der Satz von der Gleichheit vor dem Gesetz an die Stelle des Satzes von der Gleichheit vor Gott getreten ist. […]
Ursprung und Sinn des Satzes von der Gleichheit vor dem Gesetz zeigen, daß in ihm ein Rechtsprinzip aufgestellt sein sollte, das überpositiv gilt. Darum richtet er sich vor allem und in erster Linie an die Adresse des Gesetzgebers […]
Betrachtet man alle Formulierungen, die für die Entwicklung des Sinnes des Gleichheitssatzes versucht worden sind, so glaube ich, ist die Formulierung, die das Schweizer Bundesgericht für den Artikel 4 der Schweizer Verfassung gefunden hat, die beste und treffendste. Danach sollen durch den Gleichheitssatz alle ungerechtfertigten Unterscheidungen und alle ungerechtfertigten Nichtunterscheidungen verboten sein.
Erich Kaufmann: Die Gleichheit vor dem Gesetz i.S.d. Art. 109 der Reichsverfassung, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 3 (1927), S. 2-24, hier S. 3; 4; 5; 10.

1928
Als demokratische Prinzipien werden Gleichheit und Freiheit oft nebeneinander genannt, während in Wahrheit diese beiden Prinzipien in ihren Voraussetzungen, ihrem Inhalt und ihren Wirkungen verschiedenartig und oft entgegengesetzt sind. Richtigerweise kann innerpolitisch nur die Gleichheit als demokratisches Prinzip gelten. […]
die eigentliche Bedeutung jener einzelnen Momente [„Regierung des Volkes durch das Volk“; „Herrschaft der öffentlichen Meinung“, „allgemeines Wahlrecht“] [ist] erst aus einer systematischen Erörterung des demokratischen Fundamentalbegriffes, nämlich der Gleichheit, zu entnehmen […]
Die spezifische Staatsform der Demokratie kann nur auf einen spezifischen und substanziellen Begriff der Gleichheit begründet werden.
Carl Schmitt: Verfassungslehre, München 1928, S. 224; 225; 226.

1941
Wenn die Behauptung, zwei Dinge seien gleich, ihre Unterscheidung voraussetzt, dann ergibt sich der für unsere Zwecke grundlegende Satz, daß nur das Verschiedene gleich sein kann. […]
Gleichheit schlechthin ist ein Ding der Unmöglichkeit. Es gibt nur Gleichheit »in Bezug auf«, Gleichheit »hinsichtlich«. […]
Gleichheit »hinsichtlich« ist die Beziehung zwischen Dingen, die darin besteht, daß sie in eben dieser Hinsicht eine Eigenschaft gemeinsam haben. […] Gleichheit ist nicht eine Eigenschaft, sondern sie beruht auf einer Eigenschaft. […]
Dem Menschsein nach sind sie alle gleich, der Individualität nach alle ungleich. In jeder andern Beziehung können sie untereinander gleich oder ungleich sein. Auf diesem letztern beruht die Möglichkeit, sie in größeren und kleineren Gruppen, die sich mannigfach überschneiden, zusammenzufassen. […]
Daß die Frauen den Männern gleich sind und daß sie ihnen ungleich sind, ist beides wahr. Aber ob es auf die Gleichheit oder Ungleichheit ankommen soll, das kann die Gerechtigkeit selbst nicht sagen. Es geht nicht mehr um richtig oder unrichtig, da beides richtig ist, weil beide Standpunkte von etwas objektiv Richtigem ausgehen.
Hans Nef: Gleichheit und Gerechtigkeit, Zürich 1941, S. 4; 13; 15; 44; 110.

1945
the great and terrible war which has now ended was a war made possible by the denial of the democratic principles of the dignity, equality and mutual respect of men, and by the propagation, in their place, through ignorance and prejudice, of the doctrine of the inequality of men and races
Preamble to the Constitution of UNESCO, adopted on 16 Nov. 1945.

1948
Tous les êtres humains naissent libres et égaux en dignité et en droits. Ils sont doués de raison et de conscience et doivent agir les uns envers les autres dans un esprit de fraternité.
Déclaration universelle des droits de l’homme du 10 décembre 1948, article 1.

1949
Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 3 (1), in: Bundesgesetzblatt vom 23. Mai 1949.

1951
Gleichheit ist nicht gegeben und als Gleiche nur sind wir das Produkt menschlichen Handelns. Gleiche werden wir als Glieder einer Gruppe, in der wir uns kraft unserer eigenen Entscheidung gleiche Rechte gegenseitig garantieren
Hannah Arendt: Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft (1951), München 2011, S. 622.

1970
eine mehr oder minder strikte Beachtung des Gleichheitsgedankens [ist] nicht nur die erste Voraussetzung für ein demokratisches Staatswesen, sondern zugleich auch für eine zufriedenstellende Selbstregulierung der Gesellschaft und damit für gesellschaftliche Freiheit überhaupt […]
Gleichheit [ist] heute auch eine wesentliche Voraussetzung für die Integration des Staatsvolkes, die sich in den Gesellschaften unserer Zeit ja stets weniger im Vorhandensein integrierender als vielmehr im Fehlen desintegrierender Faktoren vollzieht
Roman Herzog: Demokratie und Gleichheit heute, in: Deutsches Verwaltungsblatt 85, 18 (1970), S. 713-716, hier S. 714; 715.

1970
Abstrahiert man von den Chancen, die in der sozioökonomischen Realität die Angehörigen der verschiedenen Klassen tatsächlich auszuüben in der Lage sind, verschließt man seine Augen vor der Tatsache, daß Gleichheit des politischen Wahlrechts und Gleichheit vor dem Gesetz allein nicht genügen, um die Ungleichheit der sozialen Startsituation zu eliminieren, so läuft man Gefahr, gewollt oder ungewollt, die Argumente all derer zu unterstützen, die den demokratischen Rechtsstaat als eine Attrappe denunzieren, hinter der sich die Herrschaft des Monopolkapitals verbirgt.
Ernst Fraenkel: Strukturanalyse der modernen Demokratie (1970), in: ders.: Reformismus und Pluralismus, Hamburg 1973, S. 404-433, hier S. 432.

1971
The interests of children as a group would be contradictory to, and heavily set aside under, a combination of market economy and gender equality.
Harriet Holter: Sex roles and social change, in: Acta Sociologica 14 (1971), S. 2-12, hier S. 10.

1971
the guiding idea is that the principles of justice […] are the principles that free and rational persons concerned to further their own interests would accept in an initial position of equality as defining the fundamental terms of their association. These principles are to regulate all further agreements; they specify the kinds of social cooperation that can be entered into and the forms of government that can be established. This way of regarding the principles of justice I shall call justice as fairness.
John Rawls: A Theory of Justice, Cambridge, Mass. S. 11.

1975
In cooperative relations in which economic productivity is a primary goal, equity rather than equality or need will be the dominant principle of distributive justice. [Billigkeits- oder Leistungsprinzip: distributive Gerechtigkeit]
In cooperative relations in which the fostering or maintenance of enjoyable social relations is the common goal, equality will be the dominant principle of distributive justice. [Gleichheitsprinzip]
In cooperative relations in which the fostering of personal development and personal welfare is the common goal, need will be the dominant principle of distributive justice. [Bedürftigkeitsprinzip: korrektive Gerechtigkeit]
Morton Deutsch: Equity, equality, and need: What determines which value will be used as the basis of distributive justice?, in: Journal of Social Issues 31 (1975), S. 137-149, hier S. 143.

1980
Noch mehr als in anderen Wirklichkeitsbereichen herrscht innerhalt der menschlichen Gesellschaft eine durchgängige Verschiedenheit. Ungleichheit ist hier das von Natur und Geschichte her Vorgegebene. Eine Gleichheit muß stets erst gesucht, bewußt hergestellt und deklariert werden. Sie bedeutet hier in besonderem Maße Abstraktion von gegebener Ungleichheit und individueller Vielfalt. […]
Nicht zuletzt von d[…]er konstitutiven Bedeutung der Gleichheitsvorstellung als sozialem Rechtsprinzip her kann die gesellschaftliche Anwendung des Gleichheitsbegriffs in zwei Richtungen gehen: Der Gleichheitsbegriff dient zunächst als ein Ordnungs- und Indentifizierungsbegriff in allen gesellschaftlichen Systemen. Von daher kann er jedoch auch zum Leitbegriff für den Anspruch auf eine soziale Veränderung werden – in der Regel als Forderung einer minderberechtigten Gruppe nach Rechtsangleichung an eine höhere Gesellschaftsschicht. „Gleichheit“ wird dann in emanzipatorischer Absicht verwandt, und von dieser Funktion sind bisher die größten geschichtlichen Wirkungen des Begriffs ausgegangen. […]
In dieser Verbindung von Gleichheit und Gerechtigkeit liegt der Schlüssel für die zentrale Rolle, die der Gleichheitsbegrifflichkeit als Leitmotiv und ideologischer Promotor emanzipatorischer Auseinandersetzungen gespielt hat.
Otto Dann: Gleichheit und Gleichberechtigung. Das Gleichheitspostulat in der alteuropäischen Tradition und in Deutschland bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert, Berlin 1980, S. 19; 20; 32.

1987
Der berühmte Satz, daß alle Menschen gleich seien, kann […] nicht bedeuten, daß sie realiter gleich sind, wie es etwa Rousseau und seinen Nachfolgern bis in die Neue Linke der ausgehenden sechziger und der siebziger Jahre vorschwebte. Vielmehr geht es nur um die Gleichbehandlung der Menschen: Obwohl feststeht daß alle Menschen in vielerlei Beziehungen untereinander ungleich sind, wird um ihres Menschseins willen, d. h. letztlich aus Gründen der Humanität, davon abgesehen, und sie werden ‒ zumindest in bestimmten Beziehungen ‒ so behandelt, wie wenn sie wirklich gleich wären.
Roman Herzog: Gleichheit in der Staatstheorie, in: ders. u.a. (Hg.): Evangelisches Staatslexikon, Bd. 1, 3. Aufl. Stuttgart 1987, Sp 1182-1190, hier Sp. 1182.

1989
Das gleiche Recht aller Staatsbürger, durch Wahlen, Abstimmungen und Zugang zu allen öffentlichen Ämtern an der Staatsgewalt teilzuhaben (Art. 33 Abs. 1 und 2, Art. 38 GG), ist der Fundamentalsatz der Demokratie. […]
Der Gleichheitssatz, ein die gesamte Staatsgewalt bindendes Gerechtigkeitsprinzip […]
D[]er historische Hintergrund und der systematische Zusammenhang mit der Sozialstaatsklausel rechtfertigen es, dem Art. 3 GG ein Gebot auch zur Herstellung realer Chancengleichheit zu entnehmen. Gewiß lassen sich daraus keine einklagbaren Rechte auf staatliche Bereitstellung bestimmter Leistungsangebote ableiten; diese hängen vom Wandel der Bedürfnisse und der je verfügbaren Ressourcen ab, so daß der Legislative und der Exekutive stets ein Spielraum für sie bleiben muß. Wo aber der Sozialstaat Güter und Leistungen, etwa in Gestalt von Bildungseinrichtungen, zur Verfügung gestellt hat, gibt der Gleichheitssatz dem Einzelnen ein Recht, daran teilzuhaben. Auch hier gehen Rechts- und Chancengleichheit konform. Darüber hinaus wirkt das Gebot, Chancengleichheit zu schaffen, als verbindliche Staatszielbestimmung und ist Teil des mit dem Gleichheitssatz verknüpften Gerechtigkeitsauftrages […]
Auch pragmatische Einwände erhöben sich gegen eine übertriebene Egalisierung jener Ungleichheiten, die der Lohn persönlicher Leistung sind; beseitigt sie doch den wichtigsten Anreiz, Leistungen zu erbringen, die auch der Gesellschaft nützen […]
Mit dem Anspruch auf Gleichheit wird verschiedenes erstrebt: gleiche Teilhabe an der Staatsgewalt, rechtliche Gleichbehandlung durch die Staatsgewalt, Angleichung der realen Lebensbedingungen und, mit all dem verbunden, gleiche Freiheit
Reinhold Zippelius: Der Gleichheitssatz, in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 47 (1989), S. 7-36, hier S. 8; 10; 15; 18;33.

1989
Quotenregelungen sind problematisch […,] es sei denn, daß sich aus der Verfassung unmittelbar ein Egalisierungsgebot oder Gleichstellungsauftrag ergibt. Was den Art. 3 Abs. 2 angeht, so würde ich ihn jedenfalls für den politischen Bereich so interpretieren wollen. Denn seine Entstehungsgeschichte im Parlamentarischen Rat zeigt, daß er just so gemeint war. Wer dort die Ausführungen etwa der Zentrumsabgeordneten Frau Wessel nachliest, wird feststellen, daß er im spezifischen Sinn die Gleichstellung der Frau im politischen Leben zum Gegenstand hatte. Frau Wessel bezieht sich hier auf eine lange Tradition, die auch schon in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung eine Rolle gespielt hat, wo nicht von „Quote” die Rede war, sondern interessanterweise von „Mandatsgarantie“; in der Sache ist das aber dasselbe. Wenn man diese Entstehungsgeschichte heranzieht, dann kann man den Art. 3 Abs. 2 im politischen Bereich als Gleichstellungsgebot interpretieren, und ich meine, daß diese Interpretation dann auch eine Quotenregelung sogar im Wahlrecht rechtfertigen kann.
Hans-Peter Schneider: [Diskussionsbeitrag], in: Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 47 (1989), S. 106-107, hier S. 107.

1990
im Mittelalter [war] Gleichheit ein »standesinterner Identifizierungsbegriff« [Otto Dann: Gleichheit, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, 1975, S. 1004], als gleich bezeichneten sich diejenigen, die im hierarchischen Gefüge zur Oberklasse gehörten: diese vor allem nach unten abgrenzende Bedeutung klingt in der heutigen Verwendung von »meinesgleichen, deinesgleichen« noch an. Dieser ständische Gleichheitsbegriff diente zur Festigung von Hierarchie. In der bürgerlichen Gesellschaft diente der in der Revolution zunächst universell formulierte Gleichheitsbegriff letztlich partikularen bürgerlichen Interessen. Im Faschismus wurde. auch unter Berufung auf das Mittelalter, ausdrücklich ein hierarchiebegründender Gleichheitsbegriff formuliert. Ein nationalsozialistischer Autor sagt: »Gleichheit kann nur verhältnismäßige Gleichheit bedeuten, wo Gleiches gleich, Ungleiches ungleich behandelt wird.« [Georg Weippert: Das Prinzip der Hierarchie, Hamburg 1932] »Jedem das Seine« stand in diesem Sinne über einem nationalsozialistischen Vernichtungslager. Emanzipationsbewegungen sind seit eh und je, das zeigt die historische Analyse, mit der Logik konservativen Denkens konfrontiert — und laufen immer Gefahr, einem letztlich konservativen Begriff von Gleichheit und Differenz verhaftet zu bleiben. […]
Das Gleichheitspostulat wird auf neue radikale Weise eingelöst, indem den heterogenen Lebensweisen gleiches Recht zugesprochen wird. Gleichheit ist also nicht »in Verruf geraten«, wie Frigga Haug sagt, sondern Bedingung der Möglichkeit von Differenz. Differenz ohne Gleichheit bedeutet gesellschaftlich Hierarchie, kulturell Entwertung, ökonomisch Ausbeutung. Gleichheit ohne Differenz bedeutet Assimilation, Anpassung, Gleichschaltung, Ausgrenzung des »Anderen«. […] Nicht jede Form der Gleichheit ist also »potentiell totalitär«‚ sondern wir müssen jede Form der Gleichheit sehr genau daraufhin überprüfen, welche befreienden, weil hierarchische Ungleichheit abbauenden, und welche unterdrückenden, weil gleichschaltenden Wirkungen von ihr ausgehen! […] Der hier entwickelte Begriff von Differenz könnte in diesem Sinne als ein »egalitärer Differenzbegriff« bezeichnet werden.
Annedore Prengel: Gleichheit versus Differenz ‒ eine falsche Alternative im feministischen Diskurs, in: Ute Gerhard et al. (Hg.): Differenz und Gleichheit. Menschenrechte haben (k)ein Geschlecht, Frankfurt am Main 1990, S. 120-127, hier S. 121; 124.

1992
The substantive importance of the question ‘equality of what?’ relates […] to the empirical fact of pervasive human diversity. Investigations of equality—theoretical as well as practical—that proceed with the assumption of antecedent uniformity (including the presumption that ‘all men are created equal’) thus miss out on a major aspect of the problem. Human diversity is no secondary complication (to be ignored, or to be introduced ‘later on’); it is a fundamental aspect of our interest in equality.
Amartya Sen: Inequality Reexamined, Oxford 1992, S. xi.

2004
Gleichheit
schließt […] Vielfalt nicht aus, sie unterstellt vielmehr deren Möglichkeiten, mehr noch ihre rechtliche Zulässigkeit und knüpft daraus die Rechtsfolge einer in Vielfalt ungleichen Behandlung. In diesem Sinne ermöglicht Gleichheit erst Vielfalt. […]
„Differenz“ wird bei Gleichheitsbetrachtung zum Integral von Vielfalt(en). Nicht nur also, dass „Ungleiches“ in sich begrifflich zur Vielfalt geöffnet ist ‒ diese kann sich auch in eben dieser Diversität in (potenziell unzähligen) Vielfaltsbeziehungen ausdrücken. Sie sind zwar alle unter Gleichheitsaspekten zu beurteilen, dies hebt aber ihre Vielfalt nicht auf ‒ im Gegenteil: Die Gleichheitsbetrachtung wird zu einer vielfaltsbezogenen und muss daher selbst „in einer Vielfalt erfolgen“, welche auf solchen Wegen „in die Gleichheit selbst“, in ihre rechtlichen Wirkungsformen, getragen wird. Wiederum wird damit Gleichheit über den Begriff des Ungleichen zum Vielfaltsbegriff. […]
[Es] wird die Gleichheit in ihren Gestaltungsräumen als Grundnorm weiter gesetzgeberischer Gestaltungsfreiheit verstanden, zum Entfaltungsbereich rechtlicher Vielfalt, der gegenüber sich Vereinheitlichungsstreben praktisch längst auf einem kaum mehr aufzuhaltenden und durch gelegentliche Schrankenziehung allenfalls noch verlangsamten Rückzug befindet. […]
Alle Gleichheitsformeln der Verfassungsrechtsprechung bringen auch Öffnungen zu Vielfalt […]. Dennoch bleibt Vielfalt ein Gegenprinzip zur Gleichheit. Diese drängt historisch von Anfang an, dogmatisch, auch gegenwärtig, in all ihren Formen ‒ jedenfalls zugleich und weithin ‒ zu Vereinheitlichung.
Anna Leisner-Egensperger: Vielfalt.
Ein Begriff des öffentlichen Rechts, Berlin 2004, S. 176; 177; 182; 200f.

2010
The evidence shows that reducing inequality is the best way of improving the quality of the social environment, and so the real quality of life, for all of us. […]
The slogan [scil. ‘liberty, equality and fraternity’ during the French Revolution] focused attention on the dimensions of social relations which matter most if we are to create a better society and make a difference to the real quality of our lives. […] ‘Equality’ comes into the picture as a precondition for getting the other two right. Not only do large inequalities produce all the problems associated with social differences and the divisive class prejudices which go with them, but […] it also weakens community life, reduces trust, and increases violence.
Richard G Wilkinson und Kate Pickett: The Spirit Level. Why Greater Equality Makes Societies Stronger, New York 2010, S. 29; 45. [dt. Übers.: Gleichheit ist Glück.
Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind, Hamburg 2010]

2011
Gleichheit wurde seinerzeit [d.i. in der Amerikanischen und Französischen Revolution] vorrangig als Beziehung verstanden, als eine Art, die Gesellschaft zu begründen, das Gemeinwesen zu erzeugen und mit Leben zu erfüllen. Sie wurde als demokratische Eigenschaft betrachtet und nicht nur als Maß der Wohlstandsverteilung. Diese Beziehungsgleichheit kreist um drei Denkfiguren: Ähnlichkeit, Unabhängigkeit und Staatsbürgerschaft. Die Ähnlichkeit gehört zum Bereich einer Äquivalenzgleichheit; ähnlich zu sein, heißt, dieselben Grundeigenschaften aufzuweisen, wobei die verbleibenden Unterschiede keinen Einfluss auf die Qualität der Beziehung haben. Die Unabhängigkeit ist eine Autonomiegleichheit; sie ist negativ definiert als fehlendes Unterordnungsverhältnis und positiv als Tauschgleichgewicht. Die Staatsbürgerschaft wiederum ist eine Teilhabegleichheit, die sich aus der Gemeinschaft der zugehörigen und staatsbürgerlich Engagierten ergibt. Das Projekt der Beziehungsgleichheit nahm folglich Gestalt an als eine Welt der Gleichen, eine Gesellschaft autonomer Individuen und eine Gemeinschaft von Bürgern. Gleichheit wurde somit als Stellung der Individuen zueinander, Regel ihres Umgangs miteinander und Konstitutionsprinzip ihres Gemeinwesens gedacht; was den drei möglichen Gestalten sozialer Bindung entspricht. Die Menschenrechte, der Markt und allgemeine Wahlrecht waren zu diesem Zeitpunkt ihre Träger. Ökonomische Ungleichheit galten in diesem Rahmen nur als zulässig, wenn sie die Entfaltung der verschiedenen Modalitäten der Beziehungsgleichheit, die die Matrix einer Gesellschaft der Gleichen bildeten, nicht beeinträchtigten.
Pierre Rosanvallon: La société des égaux (2011), dt. Die Gesellschaft der Gleichen, übers. von Michael Halfbrodt, Berlin 2017, S. 18f.

2013
Betrachtet man die Gruppe der OECD-Länder, so hat die soziale Ungleichheit in 17 von 22 Staaten seit Mitte der 1980er-Jahre zugenommen. Der behauptete Konflikt zwischen gleichen, aber sozial immobilen Gesellschaften einerseits und ungleichen Gesellschaften andererseits, die einigen den sozialen Aufstieg ermöglichen, lässt sich empirisch nicht nachweisen. Im Gegenteil: Egalitärere Gesellschaften haben ein höheres Maß an sozialer Durchlässigkeit, weil sie aktiv an der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse mitwirken. Doch trotz Arbeitsverdichtung und steigender Arbeitsproduktivität stagnieren die Realeinkommen. Die gesellschaftlich akzeptierte Norm der Leistungsgerechtigkeit wird nicht mehr eingelöst. Der Widerspruch von Gerechtigkeitsversprechen und materieller Ungleichheit kann zur Krise der Demokratie werden.
Schlussbericht der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität ‒ Wege zu nachhaltigem Wirtschaften und gesellschaftlichem Fortschritt in der Sozialen Marktwirtschaft“, Bonn 2013, S. 114.

2019
Die bisweilen anzutreffende Annahme, Gleichheit setze Vielfalt (und Vielfalt Gleichheit) voraus, verweist zu Recht auf die gemeinschaftskonstituierende Bedeutung von Pluralität und Alterität, geht aber an den Problemen etwas vorbei. Denn vielfältige, heterogene (Gesellschafts-)Strukturen sind ihrer Natur nach nicht-egalitär. […]
Gleichheit ist […] nichts Vorgebenenes, sondern etwas Aufgegebenes; sie ist nicht absolut, sondern relativ, nicht Ausgangs-, sondern Zielpunkt menschlicher Gemeinschaft. […]
Gleichheit lässt sich nicht feststellen, ohne Differenzen zu ignorieren. Wie dies geschieht und welche Unterschiede gleichheitsrechtlich bedeutsam sind, wird im positiven Recht nicht abschließend geregelt. Daraus resultiert die Gefahr eines „Abdriftens“ in einen allgemeinen, relativ unkonturierten Gerechtigkeitsdiskurs. Vor allem aber werden Gemeinsamkeiten wie Unterschiede nicht einfach vorgefunden, sondern konstruiert. Auch hier gilt, dass das Recht sich seine eigene Realität schafft: „Legal systems create facts in order to treat them as facts.“ [Lawrence Rosen: Law as Culture, 2006, S. 68.] Es geht daher nicht um Erkenntnis, sondern um Beurteilung von Wirklichkeit.
Steffen Augsberg: Gleichheit angesichts von Vielfalt als Gegenstand des philosophischen und des juristischen Diskurses, in: Ute Sacksofsky (Hg.): Gleichheit, Vielfalt, technischer Wandel, Berlin 2019, S. 7-51, hier S. 8f.; 13.

2019
Man darf die abstrakte Gleichheit nicht als Beschreibung eines gehaltvollen Menschenbildes verstehen. Sie ist eine normative Setzung, die der wechselseitigen Anerkennung von Rechten dient. Das Verhältnis der Menschen wird als ein nicht-hierarchisches konstruiert, in dem kein Individuum einem anderen von vornherein über- oder untergeordnet ist. Daraus folgt ein reziproker Anspruch auf Achtung. […]
Die Gleichheit vor dem Gesetz ist ein Werkzeug gesellschaftlicher Integration, indem – und soweit – sie formal alle Menschen in die Gruppe der Freien und Gleichen einbezieht. Die formale Gleichheit macht rechtliche und tatsächliche Ungleichbehandlungen nicht unzulässig, doch werden sie vor dem Gleichheitsanspruch rechtfertigungsbedürftig. Gleichheit wird so zu einem Instrument der Kritik: Wer ungleich behandelt wird und dies als ungerecht begreift, darf von der politischen Gemeinschaft eine sachliche Begründung erwarten. Das liberale Gleichheitsversprechen erlaubt also, tradierte Strukturen in Frage zu stellen und normative Leitbilder herauszufordern.
Friederike Wapler: Gleichheit angesichts von Vielfalt als Gegenstand des philosophischen und des juristischen Diskurses, in: Ute Sacksofsky (Hg.): Gleichheit, Vielfalt, technischer Wandel, Berlin 2019, S. 53-91, hier S. 58; 60.

2020
man [kann] vielleicht sagen, dass die moralische Gleichheit der Menschen die Grundlage dafür bildet, dass Demokratie als sowohl intrinsisches als auch instrumentelles Gut anerkannt wird. Weil Menschen im Allgemeinen, als Gattungsmerkmal, die Fähigkeit zur Autonomie besitzen ‒ nicht bloß insofern sie ihre eigene Lebensweise wählen, sondern auch insofern sie durch politische Teilhabe die Aspekte des Lebens mitgestalten, die zwangsläufig von allen geteilt werden ‒, ist Demokratie für sie etwas Gutes. Demokratie fördert das Wohlergehen menschlicher Wesen als solcher. Sie beruht auf der Grundlage moralischer Gleichheit, die dieser allgemeinen menschlichen Fähigkeit zur Autonomie innewohnt. […] Demokratie ist die einzige politische Ordnung, die diese Fähigkeiten anerkannt; das macht sie zur einzigen politischen Ordnung, auf die sich volles menschliches Wohlergehen stützen kann. Deshalb geht die Gerechtigkeit von Demokratie als Typus von politischer Ordnung darauf zurück, dass sie in der moralischen Gleichheit der Menschen gründet, doch die Verwirklichung von Demokratie als politischer Form ist auch auf das Erlangen von politischer Gleichheit angewiesen. Gleichheit spielt mit anderen Worten an mindestens zwei verschiedenen Stellen für die Konzeptualisierung von Demokratie eine Rolle. Die moralische Gleichheit der Menschen rechtfertigt die Demokratie; und drum ist politische Gleichheit ein unverzichtbares demokratisches Werkzeug. Zudem beruht politische Gleichheit sowohl auf öffentlicher Autonomie ‒ auf Mitspracherechten, zum Beispiel ‒ als auch auf den traditionellen Komponenten von privater Autonomie ‒ Vereinigungsfreiheit, Recht auf freie Meinungsäußerung und Gedankenfreiheit. Öffentliche Partizipation ist wenig wert, wenn sie nicht in der authentischen Entwicklung des Willens des Einzelnen gründet, und für die Entwicklung eines authentischen Willens ist die Entfaltung privater Autonomie erforderlich. […] Das Streben nach Demokratie ‒ das heißt nach öffentlicher Autonomie ‒ bringt notwendig den Schutz der Rechte mit sich, auf denen private Autonomie beruht. Jene negativen Freiheiten sind notwendig, um den positiven Freiheiten Sinn zu verleihen. Mit einem Wort bedingt die moralische Gleichheit der Menschen ‒ die auf unserer Fähigkeit zur Autonomie beruht ‒ politische Gleichheit (das heißt Demokratie), damit sich die Menschen zu der Art von Geschöpf entfalten können, das sie sind. So fügen sich die grundlegende moralische Gleichheit der Menschen ‒ auf die sich alle Rechtssysteme stützen – und politische Gleichheit zusammen.
Danielle Allen: Politische Gleichheit, Berlin 2020, S. 65f.

2020
Gleichheit, frz.: égalité, [1] als gesellschaftspolitisches Postulat nach J.-J. Rousseau Bezeichnung für jenes Verhältnis zwischen Menschen, bei dem keine einseitige Abhängigkeit des einen vom anderen besteht. Garant der G. ist das Fehlen von Privatbesitz und die freie Verfügung aller über die lebensnotwendigen Güter. Im Prozess fortschreitender Arbeitsteilung wird die G. eingeschränkt durch die weitgehende Differenzierung der Fähigkeiten, Fertigkeiten und Produktionsinstrumente sowie durch die daraus entstehenden einseitigen Abhängigkeiten. Sowohl die auf physisch-geistigen als auch die auf ökonomischen Kapazitätsunterschieden beruhende Ungleichheit wird überformt durch die politisch-rechtlich-moralische G., welche in einem wohl geordneten Gemeinwesen allen Bürgern das gleiche Recht zur Mitbestimmung über die gemeinsamen Angelegenheiten und zur Festlegung des Freiheitsspielraums aller gibt.
[2] Bezeichnung für jenen Typus von sozialen Beziehungen zwischen Individuen, Gruppen, Schichten etc. in der Gesellschaft, bei dem im Hinblick auf bestimmte Aspekte (z. B. religiös-sittliche, rechtliche, ökonomische) keine Unterschiede zwischen den Beteiligten bestehen.
Friedhart Hegner: [Art.] Gleichheit, in: Daniela Klimke et al. (Hg.): Lexikon zur Soziologie, 6. Aufl. Wiesbaden 2020, S. 285.

 

Hans Nef: Gleichheit und Gerechtigkeit, Zürich 1941.

Werner Hill: Gleichheit und Artgleichheit, Berlin 1966.

Adalbert Erler: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Die Geschichte des Gleichheitsgrundsatzes, Hannover 1967.

Otto Dann: Gleichheit, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 997-1046.

Amartya Sen: Equality of what?, in: Sterling M. McMurrin (Hg.): Tanner Lectures on Human Values, Salt Lake City 1980, S. 195-220.

Otto Dann: Gleichheit und Gleichberechtigung. Das Gleichheitspostulat in der alteuropäischen Tradition und in Deutschland bis zum ausgehenden 19. Jahrhundert, Berlin 1980.

Ronald Dworkin: What is equality?, in: Philosophy and Public Affairs 10 (1981), S. 185-246; 283-345.

Otto Dann: Egalité und Gleichheit. Eine Rezeptionsgeschichte?, in: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte 18 (1989), S. 63-85.

Angelika Krebs (Hg.): Gleichheit oder Gerechtigkeit. Texte der neuen Egalitarismuskritik, Frankfurt am Main 2000.

Christoph Horn und Nico Scarano (Hg.): Philosophie der Gerechtigkeit. Texte von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 2002.

Norbert Wenning: Heterogenität als neue Leitidee der Erziehungswissenschaft? Zur Berücksichtigung von Gleichheit und Verschiedenheit, in: Zeitschrift für Pädagogik 50 (2004), S. 565-582.

Seyla Benhabib: Gleichheit und Differenz, Tübingen 2013.

Judith Squires: Equality and universalism, in: Georgina Waylen, Karen Celis, Johanna Kantola and S. Laurel Weldon (Hg.): The Oxford Handbook of Gender and Politics, Oxford 2013, S. 731-755.

Martin van Creveld: Equality. The Impossible Quest (2015), dt. Gleichheit. Das falsche Versprechen, 2018.

Ute Sacksofsky (Hg.): Gleichheit, Vielfalt, technischer Wandel. Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer 78 (2018), Berlin 2019.

Danielle Allen: Politische Gleichheit, Berlin 2020.