1634
Kraut vnd Blumen mannigfalt
die so lieblich von Gestalt
Johann Rist: Auff den heran-nahenden Früling, in: Musa teutonica, Hamburg 1634.
1682
Von der Mannigfaltigkeit
der Arten Gehölzes in denen Waldungen oder Gehölzen
Wolf Helmhardt von Hohberg: Georgica Curiosa. Das ist: Umständlicher Bericht
und klarer Unterricht Von dem Adelichen Land- und Feld-Leben, Theil 3 (1682),
Nürnberg 1749, S. 329
1721
Die Mannigfaltigkeit
der Arten der Insecten erhält mich, nebst andern wichtigern Umständen, zugleich
bey der beständigen Lust zur Untersuchung ihrer Natur
Johann Leonhard Frisch: Beschreibung von allerley Insecten in Deutschland,
Bd. 2, Berlin 1721, S. 36.
1727
So unbegreiflich
GOtt in Seinem Wesen und in der Ahrt Seiner Regierung ist; so augenscheinlich
hat Er gleichwol durch die grosse Mannigfaltigkeit Seiner wunderbaren
Geschöpfe Sich geoffenbaret, und auf solche überzeugende Ahrt offenbaret Er
Sich noch täglich durch deren beständige Erhaltung, Fortpflanzung und
Versorgung.
Barthold Heinrich Brockes: Jrdisches Vergnügen in Gott, Bd. 2, Hamburg 1727,
[Vorrede, erster Satz].
1735
das gantze Gemüthe
[wird] durch die Betrachtung der Mannichfaltigkeit, Schönheit, curieusen
Gestalt, Grösse, Stärcke, schnellen Bewegung, und andere merckwürdige
Eigenschafften der Thiere ergetzet.
Johann Friedrich Cartheuser: Amoenitatvm Natvrae, Sive Historiae Natvralis
Pars Prima Generalior, Oder Der curieusen und nützlichen, sowohl Historisch-
als Physicalischen Abhandlung Aller Merckwürdigkeiten Der Natur, Erster Theil,
Halle 1735. S. 424
1739
Mannigfaltigkeit
derer Dinge, ist der an denen in der Welt befindlichen Geschöpffen zu
bemerckende Unterschied, da nehmlich immer eines von dem andern bald mehr, bald
weniger abgeht, wenigstens doch keines dem andern durchgehends gleich ist.
Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexikon aller
Wissenschaften und Künste, Bd. 19, Leipzig 1739, Sp. 1022.
1755
Mannigfaltigkeit so
unendlich verschiedener Materien
Immanuel Kant: Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels
(1755), in: Kant’s gesammelte Schriften (Akademie-Ausgabe), Bd. I, Berlin 1902,
S. 215-368, hier S. 345.
1762
Diese bewundernswyrdige Welt im kleinen, von unendlich mannigfaltiger
Schœnheit; unendliche Arten Gewæchse, Millionen verschiedene Bewohner, theils
fliegen von Blumen zu Blumen, theils kriechen und laufen umher, in Labyrinthen
des Grases; unendlich mannigfaltig an Bildung und Schœnheit, findt jeder
hier seine Nahrung, jedes seine Freuden; Mitbyrger dieser Erde, jeder in seiner
Art vollkommen und gut. […] Kein Ekel verderbt ihm die immer neuen Freuden, die
die Schœnheiten der Natur in End-loser Mannigfaltigkeit ihm anbieten.
Auch in der kleinsten Verzierung unendlich mannigfaltig und schœn, jedes
zum besten Endzwek in allen seinen Verhæltnissen schœn und gut.
Salomon Geßner: Die Gegend im Gras, in: Schriften, Bd. 3. Idyllen, Zürich
1762, S. 142-150, hier S. 142f.; 149f.
1767
Unsre Seele, die
durch die Einförmigkeit ermattet, und mit Ekel erfüllet wird, heftet ihre
Begierde nicht gerne an eine einfache Art, sich zu belustigen; sie liebt das Mannigfaltige,
und geizzet nach den Abwechslungen des Vergnügens […]
zur Ehre unsers wohlthätigen Urhebers ist die ganze Natur eingerichtet, der
Reizung unsrer Seele zur Abwechslung auf alle Art genug zu thun; und wer wird
in dieser Absicht dem Landleben vor dem Aufenthalte in der Stadt den Vorzug
streitig machen können? Hier eröffnet sich eine ganze Unendlichkeit von mannigfaltigen
Gegenständen, in deren Betrachtungen der Ekel an der Einförmigkeit verschwindet
[3. 3. Aufl. 1771: »In der Stadt schmachteten wir oft nach Abwechselung; und
unaufhörlich verfolgte uns der Eckel der Einförmigkeit«], und die Seele von
einem Vergnügen nach dem anderen überströmet wird; hier finden wir die
unerschöpflichen Reichthümer der Freude, die unsre Seele begehrt, und die uns
die Städte nicht verschaffen können. Welche unabsehbahre Reihe von Wesen, wovon
ein jedes unsern Geist auf eine besondere Art beschäftiget, und unter welchen
immer eine Vorstellung und ein Vergnügen das andere verdränget! Welche
Unermeßlichkeit in den Gestirnen des Himmels, in den Geschlechtern der
Pflanzen, Kräuter, Blumen und Tiere, und welche mannigfaltige
Bestimmungen. Welche Welt von Wundern, die unserm Geiste eine immer volle
Quelle von Ergötzungen anbietet, und zu deren Durchforschung Jahrhunderte zu
wenig sind! Allenthalben erblikken wir die Sorgfalt der aufmerksamen Natur,
unsern Trieb zum Vergnügen mit einer überströmenden Mannigfaltigkeit zu
stillen.
Christian Cay Lorenz Hirschfeld: Das Landleben, Bern 1767, S. 75; 77-9.
1774
Mannigfaltigkeit.
(Schöne Künste). Die Abwechslung in den Vorstellungen und Empfindungen scheinet
ein natürliches Bedürfnis des zu einiger Entwiklung der Vernunft gekommenen
Menschen zu seyn. So angenehm auch gewisse Dinge sind, so wird man durch deren
anhaltenden, oder gar zu ofte wiederholten Genuß erst gleichgültig dafür; bald
aber wird man ihrer überdrüßig. Nur die öftere Abwechslung, das ist die Mannigfaltigkeit
der Gegenstände, die den Geist, oder das Gemüth beschäftigen, unterhält die
Lust, die man daran hat.
Johann Georg Sulzer: Allgemeine Theorie der Schönen Künste, Bd. 2, Leipzig
1774, S. 741-743.
1774
Wenn das liebe Thal
um mich dampft, und die hohe Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen
Finsterniß meines Waldes ruht, und nur einzelne Strahlen sich in das innere
Heiligthum stehlen, und ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und
näher an der Erde tausend mannigfaltige Gräsgen mir merkwürdig werden.
Wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die unzähligen,
unergründlichen Gestalten, als der Würmgen, der Mückgen, näher an meinem Herzen
fühle […]
wenn ich denn die Vögel um mich, den Wald beleben hörte, und die Millionen
Mükkenschwärme im lezten rothen Strahle der Sonne muthig tanzten, und ihr
lezter zukkender Blik den summenden Käfer aus seinem Grase befreyte und das
Gewebere um mich her, mich auf den Boden aufmerksam machte und das Moos, das
meinem harten Felsen seine Nahrung abzwingt, und das Geniste, das den dürren
Sandhügel hinunter wächst, mir alles das innere glühende, heilige Leben der
Natur eröfnete, wie umfaßt ich das all mit warmen Herzen, verlohr mich in der
unendlichen Fülle, und die herrlichen Gestalten der unendlichen Welt bewegten
sich alllebend in meiner Seele. Ungeheure Berge umgaben mich, Abgründe lagen
vor mir, und Wetterbäche stürzten herunter, die Flüsse strömten unter mir, und Wald
und Gebürg erklang. Und ich sah sie würken und schaffen in einander in den
Tiefen der Erde, all die Kräfte unergründlich. Und nun über der Erde und unter
dem Himmel wimmeln die Geschlechter der [1787: mannigfaltigen] Geschöpfe
all, und alles, alles bevölkert mit tausendfachen Gestalten, und die Menschen
dann sich in Häuslein zusammen sichern, und sich annisten, und herrschen in
ihrem Sinne über die weite Welt! Armer Thor, der du alles so gering achtest,
weil du so klein bist.
Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werthers, Bd. 1, Leipzig
1774, S. 9; 92f.
1776
Die Herren beym Generaldepartement
mögten gern alles, wie es scheinet, [auf] einfache Grundsätze zurückgeführet sehen.
Wenn es nach ihrem Wunsche gienge, so sollte der Staat sich nach einer akademischen
Theorie regieren lassen, und jeder Departementsrath in Stande seyn, nach einem
allgemeinen Plan den Localbeamten ihre Ausrichtungen vorschreiben zu können.
Sie wollten wohl alles mit gedruckten Verordnungen fassen, und nach dem
Voltaire es einmal lächerlich gefunden hat, daß jemand seinen Proceß nach den
Rechten eines Dorfs verlohr, den er nach der Sitte eines nahe dabey liegenden
gewonnen haben würde, keine andere als als gemeine Gesetzbücher dulden; vermuthlich,
um sich die Regierungskunst so viel bequemer zu machen, und doch die einzige
Triebfeder der ganzen Staatsmaschine zu seyn. Nun finde ich zwar diesen Wunsch
für die Eitelkeit und Bequemlichkeit dieser Herrn so unrecht nicht, und unser Jahrhundert,
das mit lauter allgemeinen Gesetzbüchern schwanger geht, arbeitet ihren Hofnungen
so ziemlich entgegen. In der That aber entfernen wir uns dadurch von dem wahren
Plan der Natur, die ihren Reichthum in der Mannigfaltigkeit zeigt; und
bahnen den Weg zum Despotismus, der alles nach wenigen Regeln zwingen will und
darüber den Reichthum der Mannigfaltigkeit verlieret.
Justus Möser: Der jetzige Hang zu allgemeinen Gesetzen und Verordnungen, ist
der gemeinen Freiheit gefährlich, in: Patriotische Phantasien, Bd. 2, Berlin
1776, S. 15-21, hier S. 15.
1780
Zwo Meilen von Kiel
nach der westlichen Seite hin, erhebt sich in dem adelichen Gute Schirensee der
ansehnliche Heeschenberg, dem die Natur eine reizende Lage mitten in einer
fruchtbaren und bebauten Landschaft, eine reiche Bekleidung mit Waldung, mannichfaltige
Ungleichheiten und Abhänge zur Vervielfältigung der innern und äußern Prospecte
gab. […] Ueberall umher beständige Abwechselung und Unterbrechung von Anhöhen
und Vertiefungen, einzelnen Bäumen und Gruppen, Waldungen und Gebüschen,
eingezäunten Wegen und Feldern, Wiesen, Viehtriften, reifenden Saaten, deren
Glanz auf den Hügeln. zwischen dunklern Einfassungen hervorspielt ‒ alles in
einer malerischen Lage und verschwenderischen Verschiedenheit der Verbindung.
Christian Cay Lorenz Hirschfeld: Theorie der Gartenkunst, Bd. 2. Leipzig,
1780, S. 137.
1781
Der Deutsche […] hat,
wie der Engländer, die Mannigfaltigkeit der höchsten Schönheit
vorgezogen, und lieber ein plattes Gesicht mit unter, als lauter Habichtsnasen
mahlen wollen. […]
Selbst die Macht, womit der Geschmack an den Englischen Gärten jetzt ganz
Europa überwältiget, kann uns lehren, daß der Weg zur Mannigfaltigkeit
der wahre Weg zur Größe sey, und daß, wenn wir nicht ewig in dem Ton der
Galanterie, welcher zu Zeiten Ludewigs XIV. herrschte, bleiben wollen, wir
nothwendig einmahl zur mannigfaltigen Natur wieder zurück kehren, aus der von
neuem schöpfen, und eine größere Menge von Naturalien als bisher, zu vereinigen
suchen müssen
Justus Möser: Ueber die deutsche Sprache und Litteratur. An einen Freund,
Hamburg 1781, S. 21; 24f.
1783
Brüder! ist es euch
um wahre Gottseligkeit zu thun; so lasset uns keine Uebereinstimmung lügen, wo Mannigfaltigkeit
offenbar Plan und Endzweck der Vorsehung ist. Keiner von uns denkt und
empfindet vollkommen so, wie sein Nebenmensch; warum wollen wir denn einander
durch trügliche Worte hintergehen?
Moses Mendelssohn: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum, Berlin
1783, S. 138.
1790
Mannigfaltigkeit der
Gattungen der Erdgeschöpfe
Immanuel Kant: Critik der Urtheilskraft, Berlin 1790, S. 379.
1792
[Es] steht, dünkt mich, das Menschengeschlecht itzt auf einer Stufe der Kultur,
von welcher es sich nur durch Ausbildung der Individuen höher emporschwingen
kann; und daher sind alle Einrichtungen, welche diese Ausbildung hindern, und
die Menschen mehr in Massen zusammendrängen, itzt schädlicher als ehemals.
Schon diesen wenigen Bemerkungen zufolge erscheint ‒ um zuerst von demjenigen
moralischen Mittel zu reden, was am weitesten gleichsam ausgreift ‒
öffentliche, d.i. vom Staat angeordnete oder geleitete, Erziehung wenigstens
von vielen Seiten bedenklich. Nachdem ganzen vorigen Raisonnement kommt
schlechterdings Alles auf die Ausbildung des Menschen in der höchsten Mannigfaltigkeit
an [engl. Übers.: the absolute and essential importance of human development in
its richest diversity]
Wilhelm von Humboldt: Ueber öffentliche Staatserziehung, in: Berlinische
Monatsschrift 1792 (2), S. 597-606, hier S. 598f.; auch in ders.: Ideen zu
einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Breslau
1851, S. 56 [engl. Übers. von Joseph Coulthard, London 1854, S. 65].
1796
Das Holsteinische
ist an den beiden Küsten der See und der Elbe durchaus ein sehr fruchtbares und
schönes Land, mit sehr mannigfaltigen und reizenden Gegenden.
Wilhelm von Humboldt: [Tagebucheintrag], in: Albert Leitzmann (Hg.): Tagebuch
Wilhelm von Humboldts von seiner Reise nach Norddeutschland im Jahre 1796,
Weimar 1894, S. 84.
1797
Die formende und
mischende Natur setzt aus wenigen Urstoffen Materien zusammen, welche die
wunderbarste Mannichfaltigkeit von den Erscheinungen darbieten.
Alexander von Humboldt: Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser
nebst Vermuthungen über den chemischen Process des Lebens in der Thier- und
Pflanzenwelt, Bd. 1, Posen 1797, S. 454.
1798
Die Mannigfaltigkeit,
plur. inus. die Eigenschaft der Dinge, da sie in der Mehrheit verschieden sind.
Die Mannigfaltigkeit der Blumen, der Farben, der Thiere u.s.f. Freuden,
die die Schönheiten der Natur in endloser Mannigfaltigkeit uns anbiethen.
Geßn.
Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der
Hochdeutschen Mundart, Bd. 3. Leipzig 1798, S. 62.
1806
Ist aber auch Fülle
des Lebens überall verbreitet; ist der Organismus auch unablässig bemüht, die
durch den Tod entfesselten Elemente zu neuen Gestalten zu verbinden: so ist
diese Lebensfülle und ihre Erneuerung doch nach Verschiedenheit der
Himmelsstriche verschieden. […] Je näher […] den Tropen, desto mehr nimmt Mannichfaltigkeit
der Bildungen, Anmuth der Form und des Farbengemisches, ewige Jugend und Kraft
des organischen Lebens zu. […]
[Es sind] jedem Erdstriche besondere Schönheiten vorbehalten: den Tropen Mannichfaltigkeit
und Größe der Pflanzenformen [des beautés particulières sont réservées à chaque
zone: aux climats du tropique, appartiennent la diversité de forme et la
grandeur des végetaux]; dem Norden der Anblick der Wiesen, und das periodische
Wiedererwachen der Natur beim ersten Wehen der Frühlingslüfte. […]
Umfaßt man die verschiedenen Pflanzenfamilien, welche bereits auf dem Erdboden
entdeckt sind […], mit einem Blick; so erkennt man in dieser wundervollen Menge
wenige Hauptformen, auf welche sich alle andere zurückführen lassen.
Alexander von Humboldt: Ideen zu einer Physiognomik
der Gewächse, Tübingen 1806, S. 8; 11; 15; auch in: ders.: Ansichten der Natur
mit wissenschaftlichen Erläuterungen, Tübingen 1808 [franz. Übers. Idées sur la
physionomie des végétaux, in: Tableaux de la nature, übers. von Jean-Baptiste
Eyriès, Bd. 2, Paris 1808, S. 23].
1807
Unter der fast
zahllosen Menge von Vegetabilien, welche die Erde bedecken, erkennt man bey
aufmerksamer Beobachtung einige wenige Grundgestalten, auf welche man
wahrscheinlich alle übrigen zurückführen kann, und welche eben so viele
Familien oder Gruppen bilden. Ich begnüge mich hier siebzehn derselben zu
nennen, deren Studium dem Landschaftsmaler besonders wichtig seyn muß. […]
Die Physionomie der Vegetation hat unter dem Äquator im Ganzen mehr Größe,
Majestät und Mannichfaltigkeit als in der gemäßigten Zone.
Alexander von Humboldt: Ideen zu einer Geographie der Pflanzen nebst einem
Naturgemälde der Tropenländer, Tübingen 1807, S. 25; 30.
1817
Der Versuch, die
Metamorphose der Pflanzen zu erklären, das heißt, die mannigfaltigen,
besonderen Erscheinungen des herrlichen Weltgartens auf ein allgemeines,
einfaches Prinzip zurückzuführen, war zuerst abgeschlossen.
Johann Wolfgang von Goethe: Schicksal der Handschrift (1817), in: Dorothea
Kuhn (Hg.): (1954). Goethe. Die Schriften zur Naturwissenschaft. Deutsche
Akademie der Naturforscher Leopoldina, Bd. I, 9. Morphologische Hefte, Weimar
1954.
1820
[Die
Landesverschönerung erteilt den] Gegenden Nachhülfe [, so dass sie] verschönert
und mannigfaltiger werden
Friedrich von Lupin: Die Gärten. Ein Wort seiner Zeit, München 1820, S. 26.
1830
Mannigfaltigkeit,
Verschiedenheit in einer in Hauptcharakteren übereinstimmenden Mehrheit, z.B.
vom Menschen, Thiere etc.
Encyclopädisches Wörterbuch der Wissenschaften, Künste und Gewerbe, Bd. 13,
Altenburg 1830, S. 163 = erste Aufl. von Pierer’s Universal-Lexikon, 4. Aufl.,
Bd. 10, Altenburg 1860, S. 835).
1830
Erquickung des Auges
durch das wohltätige Grün und die Mannigfaltigkeit der Natur
J.C.W. Wunder: Welchen Erfolg darf Deutschland, namentlich Bayern, von den
bisherigen Bemühungen für Landesverschönerung hoffen?, in: Monatsblatt für
Bauwesen und Landesverschönerung 10 (1830), S. 3-8, hier S. 8.
1833
Ueberall, wohin nur
das Auge sich wandte, war eine Abwechselung und Mischung von Belaubung, die uns
höchst pittoresk und lieblich in’s Auge fiel. Hier verdeckte eine Eiche, oder
ein Lerchenbaum, beide ihr dichtes Grün ausbreitend, die Landschaft völlig;
dort verstattete das wellenförmige Land, daß man über das niedrige Gebüsch von
blühenden Hagebutten und Geisblatt sie mit ihren Reizen doch wahrnehmen konnte.
Bald ließ ein Hain von Buchen die Scene zum Theil ganz, zum Theil nur halb
erscheinen. So lange wir nur immer durch diese Felder, Dörfer und Auen auf dem
Wege nach Schierensee hinschweiften, zeigte jeder Schritt uns stets neue
Schönheiten, bot jeder neue Standpunkt uns ein anderes, immer neues, und doch
dasselbe Gebilde. Es war ein herrlicher Weg, einsam, doch mannichfaltig,
lieblich, doch großartig.
Peregrinus pedestris [James Edward Marston]: Der Holsteinische Tourist oder
Wegweiser für Fußreisende in der Umgegend von Hamburg, Hamburg 1833, S. 231f.
1834
Kann man innerhalb des Parks ein Vorwerk mit seiner angränzenden Feldflur, eine
Mühle, eine Fabrick anbringen, oder hineinziehen, so wird ihm dies nur desto
mehr Leben und Mannichfaltigkeit geben.
Hermann Fürst von Pückler-Muskau: Andeutungen über Landschaftsgärtnerei,
Stuttgart 1834, S. 48.
1845
Die Natur ist für
die denkende Betrachtung Einheit in der Vielheit, Verbindung des Mannigfaltigen
in Form und Mischung, Inbegriff der Naturdinge und Naturkräfte, als ein
lebendiges Ganze.
Alexander von Humboldt: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung,
Bd. 1, Stuttgart 1845, S. 5f.
1851
Das höchste Ideal
des Zusammenexistirens menschlicher Wesen wäre mir dasjenige, in dem jedes nur
aus sich selbst, und um seiner selbst willen sich entwickelte. […]
Jedes [auf die Antike] folgende Zeitalter ‒ und in wieviel schnelleren Graden
muss dieses Verhältniss von jetzt an steigen? ‒ muss den vorigen an Mannigfaltigkeit
nachstehen, an Mannigfaltigkeit der Natur ‒ die ungeheuren Wälder sind
ausgehauen, die Moräste getrocknet u. s. f. [vgl. Jean-Jacques Rousseau: Émile,
ou de l’éducation, Bd. 4, Amsterdam 1762, S. 257f.] ‒ an Mannigfaltigkeit
der Menschen, durch die immer grössere Mittheilung und Vereinigung der
menschlichen Werke […]
es [ist] unläugbar, dass, wenn die physische Mannigfaltigkeit geringer
wurde, eine bei weitem reichere und befriedigendere intellectuelle und
moralische an ihre Stelle trat, und dass Gradationen und Verschiedenheiten von
unserm mehr verfeinten Geiste wahrgenommen, und unserm, wenn gleich nicht eben
so stark gebildeten, doch reizbaren kultivirten Charakter ins praktische Leben
übergetragen werden, die auch vielleicht den Weisen des Alterthums, oder doch
wenigstens nur ihnen nicht unbemerkt geblieben wären. Es ist im ganzen
Menschengeschlecht, wie im einzelnen Menschen gegangen. Das Gröbere ist abgefallen,
das Feinere ist geblieben. Und so wäre es ohne allen Zweifel seegenvoll, wenn
das Menschengeschlecht Ein Mensch wäre, oder die Kraft eines Zeitalters ebenso
als seine Bücher, oder Erfindungen auf das folgende überginge. […]
Bewiesen halte ich […], dass die wahre Vernunft dem Menschen keinen andern
Zustand als einen solchen wünschen kann, in welchem nicht nur jeder Einzelne
der ungebundensten Freiheit geniesst, sich aus sich selbst, in seiner
Eigenthümlichkeit zu entwickeln, sondern in welchem auch die physische Natur
keine andre Gestalt von Menschenhänden empfängt, als ihr jeder Einzelne, nach
dem Maasse seines Bedürfnisses und seiner Neigung, nur beschränkt durch die
Gränzen seiner Kraft und seines Rechts, selbst und willkührlich giebt.
Wilhelm von Humboldt: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der
Wirksamkeit des Staats zu bestimmen, Breslau 1851, S. 13; 14; 14f.; 15.
1854
Der individuell sich
frei fühlende Mensch wählt Sitten und Gebräuche, Kleidung und Einrichtung der
Wohnung nach seinem Geschmacke – in unserem Vaterlande hat nicht nur jeder
Stamm, sondern fast jedes Dorf seine eigenen Sitten und Gebräuche, die Mannigfaltigkeit
ist darin unendlich. Die freie Bewegung verschmäht die Uniformität und
Conformität, sie liebt die Mannigfaltigkeit und Besonderheit. Der freie
Mensch entwickelt seine Individualität, sie entwickelt sich in der Freiheit,
nur in der Freiheit, nicht unter dem Zwange. […]
[Es] darf der Lehrer nie darauf denken, dem Schüler die Signatur seiner eignen
Geistesbeschaffenheit aufzudrücken. Achtung der Individualität, höchste Achtung
derselben, Mannigfaltigkeit der Entfaltung der einzelnen Schüler! […]
Die deutsche Einheit soll die Verschiedenheit und die Mannigfaltigkeit der
deutschen Stämme nicht vernichten. […] Die Mannigfaltigkeit ist
begründet durch die Geschichte und die Natur der Wohnsitze. In letzterer
Beziehung vergleiche man Oberdeutschland mit Niederdeutschland, den Osten mit
dem Westen – kein Land in der Welt bietet auf gleichem Flächenraum eine größere
Mannigfaltigkeit, einen ausgeprägteren Charakter der Individulität und
Individualisirung dar […] eine Mannigfaltigkeit ohne Gleichen
Adolph Diesterweg: Die deutsche Nationalerziehung und das Princip des
germanischen Lebens, in: Jahrbuch für Lehrer und Schulfreunde 4 (1854), S.
98-216, hier S. 114; 165.
1854
Wollte man im
Widerspruch mit der hier geäußerten Ansicht annehmen, […] Fortschritt bestehe
darin, daß in jeder Epoche das Leben der Menschheit sich höher potenziert, daß
also jede Generation die vorhergehende vollkommen übertreffe, mithin die letzte
die bevorzugte, die vorhergehenden aber nur die Träger der nachfolgenden wären,
so würde das eine Ungerechtigkeit der Gottheit sein. Eine solche gleichsam
mediatisierte Generation würde an und für sich eine Bedeutung nicht haben. Sie
würde nur insofern etwas bedeuten, als sie die Stufe der nachfolgenden
Generation ist und würde nicht in unmittelbarem Bezug zum Göttlichen stehen.
Ich aber behaupte: jede Epoche ist unmittelbar zu Gott, und ihr Wert beruht gar
nicht auf dem, was aus ihr hervorgeht, sondern in ihrer Existenz selbst, in
ihrem Eignen selbst. Dadurch bekommt die Betrachtung der Historie, und zwar des
individuellen Lebens in der Historie einen ganz eigentümlichen Reiz, indem nun
jede Epoche als etwas für sich Gültiges angesehen werden muß und der
Betrachtung höchst würdig erscheint. […]
Der Historiker hat nun die großen Tendenzen der Jahrhunderte
auseinanderzunehmen und die große Geschichte der Menschheit aufzurollen,
welche eben der Komplex dieser verschiedenen Tendenzen ist. Vom Standpunkt der
göttlichen Idee kann ich mir die Sache nicht anders denken, als daß die
Menschheit eine unendliche Mannigfaltigkeit von Entwicklungen in sich
birgt, welche nach und nach zum Vorschein kommen, und zwar nach Gesetzen, die
uns unbekannt sind, geheimnisvoller und größer, als man denkt.
Leopold von Ranke: [Vorträge über die s.g. „leitenden Tendenzen“ in der
Geschichte, erster Vortrag vom 25. Sept. 1854], in: Theodor Schieder und Helmut
Berding (Hg.): Historisch-kritische Ausgabe, Bd. 2. Über die Epochen der
neueren Geschichte, Berlin 1971, S. 53-76, hier S. 59f.; 67.
1867
Die Welt im großen
ganzen fassen,
Muß ich den andern überlassen
In ihres Geistes Gewaltigkeit;
Mir genügt in mehr bescheidnen Maßen
Des Einen Vielgestaltigkeit,
Des Kleinen Mannigfaltigkeit.
Friedrich Rückert: Lieder und Sprüche aus dem lyrischen Nachlasse, Frankfurt
am Main 1867, S. 193.
1868
Grössenbegriffe sind
nur da möglich, wo sich ein allgemeiner Begriff vorfindet, der verschiedene
Bestimmungsweisen zulässt. Je nachdem unter diesen Bestimmungsweisen von einer
zu einer andern ein stetiger Uebergang stattfindet oder nicht, bilden sie eine
stetige oder discrete Mannigfaltigkeit; die einzelnen Bestimmungsweisen
heissen im erstern Falle Punkte, im letztern Elemente dieser Mannigfaltigkeit.
Begriffe, deren Bestimmungsweisen eine discrete Mannigfaltigkeit bilden,
sind so häufig, dass sich für beliebig gegebene Dinge wenigstens in den
gebildeteren Sprachen immer ein Begriff auffinden lässt, unter welchem sie
enthalten sind (und die Mathematiker konnten daher in der Lehre von den
discreten Grössen unbedenklich von der Forderung ausgehen, gegebene Dinge als gleichartig
zu betrachten), dagegen sind die Veranlassungen zur Bildung von Begriffen,
deren Bestimmungsweisen eine stetige Mannigfaltigkeit bilden, im
gemeinen Leben so selten, dass die Orte der Sinnengegenstände und die Farben
wohl die einzigen einfachen Begriffe sind, deren Bestimmungsweisen eine
mehrfach ausgedehnte Mannigfaltigkeit bilden. Häufigere Veranlassung zur
Erzeugung und Ausbildung dieser Begriffe findet sich erst in der höhern
Mathematik.
Bernhard Riemann: Über die Hypothesen, die der Geometrie zu Grunde liegen,
in: Abhandlungen der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen
13 (1868), S. 133-150, hier S. 135.
1878
Die Mannigfaltigkeit gefällt als solche, wie die Einheit; wenn zu ihr
Harmonie hinzukommt, so entsteht eine neue Form, die der harmonischen Totalität
z.B. von Charakteren eines Epos oder eines Drama’s oder von Individualitäten eines
grössern Gemäldes, welche einen vollständigen Cyclus einander ergänzender
Gestalten bilden […]; Mannigfaltigkeit ist aber auch so, ohne diese harmonische
Geschlossenheit, schön, obwol nicht sie allein schön ist, und obwol ein
gewisses Mass ihr gesetzt ist, damit man nicht durch ihre Überschwenglichkeit betäubt
und abgespannt werde
Karl Köstlin: Über den Schönheitsbegriff, Tübingen 1878, S 40f.
1883
Mannichfaltigkeitslehre. Mit diesem Worte bezeichne ich
einen sehr viel umfassenden Lehrbegriff, den ich bisher nur in der speciellen
Gestaltung einer arithmetischen oder geometrischen Mengenlehre auszubilden
versucht habe. Unter einer Mannichfaltigkeit oder Menge verstehe ich
nämlich allgemein jedes Viele, welches sich als Eines denken läßt, d. h. jeden
Inbegriff bestimmter Elemente, welcher durch ein Gesetz zu einem Ganzen
verbunden werden kann, und ich glaube hiermit etwas zu definieren, was verwandt
ist mit dem Platonischen εἶδος oder ἰδέα, wie auch mit dem, was Platon in
seinem Dialoge „Philebos oder das höchste Gut“ μικτόν nennt. Er setzt dieses
dem ἄπειρον, d. h. dem Unbegrenzten, Unbestimmten, welches ich
Uneigentlich-unendliches nenne, sowie dem πέρας d. h. der Grenze entgegen und
erklärt es als ein geordnetes „Gemisch“ der beiden letzteren.
Georg Cantor: Ueber unendliche, lineare Punktmannichfaltigkeiten, 5. Forts.,
in: Mathematische Annalen 21 (1883), S. 545-591, hier S. 587.
1904
Mannigfaltigkeit ist
die Einheit, der Inbegriff einer Reihe von Objecten
Rudolf Eisler: Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. 1, Berlin 1904,
S. 624.
1912
mir [erscheint es] immer ein Gewinn, wenn irgendwelche Art auch immer auf
dieser Erde vor der Vernichtung bewahrt bleibe, weil mir ein ganz großer Wert
in dem Reichtum an Arten überhaupt zu liegen scheint. Es mag sich um Pflanzen-
oder Tier- oder Menschenarten handeln. Bunt soll die Welt sein. Und ein Jammer
ist es, wenn eine noch so unscheinbare Pflanzenart, wenn eine noch so
unbedeutende Tierspezies ausstirbt. Vor nichts sollten
wir eine solche Angst haben wie vor der Verarmung der Welt an Formen des
Lebendigen. Und in der Menschheit muß sich dieser Wunsch, einen Reichtum an
Formen zu erhalten, zur Leidenschaft steigern. Wir erleben ja in unserer Zeit
gerade, wie sich der Typus Mensch immer mehr zu einem Einheitstypus zu
verflachen die Tendenz hat. Wer die bunte Mannigfaltigkeit gesehen hat,
die unter den Auswanderern im Zwischendeck eines großen Amerika-Dampfers noch
anzutreffen ist; wessen Herz sich erfreut hat an den vielerlei Trachten und
vielerlei Sprachen, an den vielerlei Gewohnheiten und vielerlei Liedern, die
hier noch ihr Wesen treiben, und wer dann wahrgenommen hat, wie diese selbe
bunte Welt nach ein oder zwei Generationen in dem grauen, langweiligen,
eintönigen American man untergegangen ist, den faßt ein Grauen vor der Zukunft
des Menschengeschlechts, der möchte alle Mächte des Himmels und der Hölle zum
Beistand aufrufen, daß sie ein solches Zerstörungswerk verhindern helfen.
Werner Sombart: Die Zukunft der Juden, Leipzig 1912, S. 55f.
1938
Wenn in dem „Rasenstück“ [Dürers] eine reiche Vielfalt zu einem Bild
ausgeglichener Schönheit verschmolzen ist, so gilt das gleiche auch für die
deutsche Landschaft. Wo immer sie noch schön ist, da ist sie vielfältig; ja
diese Mannigfaltigkeit stellt geradezu das eigentliche Wesen der
mitteleuropäischen Landschaft dar. Wo immer man von draußen her nach
Deutschland zurückkommt, wo es noch schön ist, da ist es von einer unerhörten Mannigfaltigkeit.
Da ist alles in ihr enthalten, was zum Begriff der deutschen Heimat gehört,
Wald und Wiese und Feld und Baum und Busch und Wasser in jeder Form.
Alwin Seifert: Naturnahe Wasserwirtschaft (1938), in: Im Zeitalter des
Lebendigen. Natur, Heimat, Technik, Dresden 1941, S. 51-69, hier S. 56.
1945
Die beiden Prinzipien sind das der Einheit und das der Mannigfaltigkeit.
Das neue Reich muß einig in seinen Gliedern sein, doch unter Achtung ihrer
Eigenart. In dieser Verbindung werden sich zugleich die beiden großen
Richtungen versöhnen, die die Demokratie in unserer Zeit gewonnen hat, und zwar
im autoritären und im liberalen Staat. Beide sind wohlbegründet, doch kann das
Leben weder völlig diszipliniert noch völlig dem freien Willen anheimgegeben
sein. Es gilt vielmehr, die Schichten zu trennen, die beiden angemessen sind.
Ernst Jünger: Der Friede (1943), in: Sämtliche Werke, 2. Abt., Essays, Bd.
7, Stuttgart 1980, S. 195-236, hier S. 224.
1952
Es ist Zeit sich zu
fragen, welchen Sinn das Wort Weltliteratur, in Goethescher Weise auf das
Gegenwärtige und das von der Zukunft zu Erwartende bezogen, noch haben kann. Unsere
Erde, die die Welt der Weltliteratur ist, wird kleiner und verliert an Mannigfaltigkeit
[engl. Übers.: »diversity«, in: The Centennial Review 13 (1969), S. 2].
Weltliteratur aber bezieht sich nicht einfach auf das Gemeinsame und
Menschliche überhaupt, sondern auf dieses als wechselseitige Befruchtung des Mannigfaltigen.
Die felix culpa des Auseinanderfallens der Menschheit in eine Fülle von
Kulturen ist ihre Voraussetzung. Und was geschieht heute, was bereitet sich
vor? Aus tausend Gründen, die jeder kennt, vereinheitlicht sich das Leben der
Menschen auf dem ganzen Planeten. Der Überlagerungsprozeß, der ursprünglich von
Europa ausging, wirkt weiter und untergräbt alle Sondertraditionen. Zwar ist überall
der Nationalwille stärker und lauter als je, aber überall treibt er zu den
gleichen, nämlich den modernen Lebensformen, und es ist für den unparteiischen
Beobachter deutlich, daß die inneren Grundlagen des nationalen Daseins überall
im Zerfallen sind. […]
[Es] ist die Aufgabe, das Material zu sammeln und zu einheitlicher Wirkung zu
bringen, dringend. Denn gerade wir sind noch, wenigstens grundsätzlich, in der
Lage, die Aufgabe zu erfüllen: nicht nur, weil wir über so viel Material verfügen,
sondern vor allem, weil wir den historisch-perspektivistischen Sinn ererbt
haben, der dazu erforderlich ist. Wir besitzen ihn noch, da wir noch mitten in
der Erfahrung von geschichtlicher Mannigfaltigkeit leben, ohne die, wie
ich fürchte, jener Sinn schnell an lebendiger Konkretheit verlieren könnte. Wir
also, so scheint mir, leben in einem Kairos der verstehenden
Geschichtsschreibung; ob viele Generationen ihm noch angehören werden, ist
fraglich.
Erich Auerbach: Philologie der Weltliteratur, in: Walter Muschg and Emil
Staiger (Hg.): Weltliteratur. Festgabe für Fritz Strich zum 70. Geburtstag, Bern
1952, S. 39-50, hier S. 39; 41.
1955
Die Entwicklung der
letzten Jahrhunderte zeigt die Tendenz auf, die ursprünglich mannigfaltigen
und vielgestaltigen Bilder unserer Landschaft auf einige wenige Grundformen
zurückzuführen. Der einartige Wirtschaftswald‚ ertragreiche Wiesen und Weiden
mit ausgewogenen Regulierung der Wasserstände und der Nährstoffverhältnisse zur
Erhaltung eines Standard-Bestandes wertvoller Gramineen und Leguminosen oder
weithin eintönige Äcker sind ihre wesentliche Typen. Aus der Naturlandschaft
wird durch solche Typisierung eine Kulturlandschaft entwickelt. An die Stelle
natürlicher Vielgestaltigkeit tritt die künstliche Einheitlichkeit, und diesem
Uniformierungsvorgang fällt auch hier ein großer Teil alles Besonderen zum
Opfer. Durch die Nivellierung wird ein Anstieg des materiellen Wertes erreicht,
zwangsläufig aber ist damit verbunden die Verarmung an innerem Gehalt. Die
Versuche aber, wenigstens stellenweise etwas von der ursprünglichen
Ausdruckskraft der Landschaft zu erhalten, sind bei den derzeitigen Methoden,
wie es alle unsere unter Natur- und Landschaftsschutz stehenden Gebiete zeigen,
als zu engräumige Maßnahmen auf die Dauer ohne Erfolg.
Ernst-Wilhelm Raabe: Über die Verarmung der Landschaft, in: Schriften des
Naturwissenschaftlichen Vereins für Schleswig-Holstein 27 (1955), S. 171-189,
hier S. 188f.
1964
Die Einebnung, die
der Nationalstaat, verglichen mit der vorrevolutionären Ordnung, bewirkt hat,
betrifft nicht nur die Gesellschaft und ihre Mannigfaltigkeit, sondern
auch die Künste einschließlich der Kriegskunst, die Architektur, die Handwerke,
jede gewachsene Gliederung überhaupt. Hierher gehört die
Angleichung der Landschaften auf Kosten ihrer Eigenart, ihre wachsende
Abhängigkeit von den Zentralen, ihre Durchschneidung mit Bahnen, Kanälen und
Heerstraßen. Dieses Bild, dessen Ausführung das ganze 19. Jahrhundert beschäftigt,
ist nicht plötzlich entstanden ‒ es ging ihm die Einrichtung der absoluten
Monarchie voraus
Ernst Jünger: Maxima ‒ Minima. Adnoten zum »Arbeiter« (1964), Stuttgart
1981, S. 67.
1968
Die Ideen sind Mannigfaltigkeiten, jede Idee ist eine Mannigfaltigkeit
[multiplicité], eine Varietät. […] Die Mannigfaltigkeit darf
nicht eine Kombination aus Vielem und Einem bezeichnen, sondern im Gegenteil
eine dem Vielen als solchem eigene Organisation, die keinerlei Einheit bedarf,
um ein System zu bilden. Das Eine und das Viele sind Verstandesbegriffe, die
die allzu weiten Maschen einer verfälschten Dialektik bilden, die über den
Gegensatz verfährt. […] Das wahre Substantiv, die Substanz selbst, ist „Mannigfaltigkeit“,
die das Eine und nicht weniger das Viele überflüssig macht. Die variable Mannigfaltigkeit
ist das Wieviel, das Wie, das Jeder Fall. Jedes Ding ist eine Mannigfaltigkeit,
sofern es die Idee verkörpert. Selbst das Viele ist eine Mannigfaltigkeit;
selbst das Eine ist eine Mannigfaltigkeit. Daß das Eine eine Mannigfaltigkeit
ist (wie dies auch Bergson und Husserl gezeigt haben) – das genügt, um den
Adjektivsätzen vom Typ des Ein-Vielen und des Viel-Einen gleichermaßen unrecht
zu geben. Überall ersetzen die Differenzen von Mannigfaltigkeiten und
die Differenz in der Mannigfaltigkeit die schematischen und plumpen
Oppositionen. Es gibt nur die Varietät der Mannigfaltigkeit, d.h. die
Differenz, anstatt des riesigen Gegensatzes des Einen und des Vielen.
Gilles Deleuze: Différence et répétition (1968), dt. Differenz und Wiederholung,
übers. von Joseph Vogl, München 1992, S. 233f.
Literatur
Klaus Konhardt: Mannigfaltige (das), Mannigfaltigkeit, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 5, Basel 1980, Sp. 731-735.