1932
für die […] in angelsächsischen Ländern aufgetretene sogenannte pluralistische Staatstheorie von G. D. H. Cole und Harold J. Laski [gilt:] Ihr Pluralismus besteht darin, die souveräne Einheit des Staates, d. h. die politische Einheit zu leugnen und immer wieder hervorzuheben, daß der einzelne Mensch in zahlreichen verschiedenen sozialen Bindungen und Verbindungen lebt: er ist Mitglied einer Religionsgesellschaft, einer Nation, einer Gewerkschaft, einer Familie, eines Sportklubs und vieler anderer „Assoziationen“, die ihn von Fall zu Fall verschieden stark bestimmen und ihn in einer „Pluralität der Treueverpflichtungen und der Loyalitäten“ verpflichten, ohne daß man von einer dieser Assoziationen sagen könnte, sie sei unbedingt maßgebend und souverän. Vielmehr können sich die verschiedenen „Assoziationen“, jede auf einem verschiedenen Gebiet, als die stärksten erweisen, und der Konflikt der Loyalitäts- und Treuebindungen kann nur von Fall zu Fall entschieden werden.
Carl Schmitt: Der Begriff des Politischen, München 1932, S. 28f.

1958
Action, the only activity that goes on directly between men without the intermediary of things or matter, corresponds to the human condition of plurality, to the fact that men, not Man, live on the earth and inhabit the world. While all aspects of the human condition are somehow related to politics, this plurality is speci
cally the condition-not only the conditio sine qua non, but the conditio per quam—of all political life. […]
Action would be an unnecessary luxury, at capricious interference with general laws of behavior, if men were endlessly reproducible repetitions of the same model, whose nature or essence was the same for all and as predictable as the nature or essence of any other thing. Plurality is the condition of human action because we are all the same, that is, human, in such a way that nobody is ever the same as anyone else who ever lived, lives, or will live.
Hannah Arendt: The Human Condition (1958), Chicago 1998, S. 7f.

1980
in a modern society there are, inevitably, multiple, plural interests, because we all have multiple attachments and identities. […] there are religious attachments, cultural differences, and a host of other loyalties and identities by which men designate themselves. All society is plural society.
Daniel Bell: Liberalism in the postindustrial society, in: The Winding Passage.
Essays and Sociological Journeys 1960-1980, Cambridge, Mass. 1980, S. 243.

1988
Postmoderne. Pluralität als ethischer und politischer Wert
Wolfgang Welsch: Postmoderne. Pluralität als ethischer und politischer Wert, Köln 1988.

1991
Pluralität ist der Schlüsselbegriff der Postmoderne. Sämtliche als postmodern bekannt gewordene Topoi ‒ Ende der Meta-Erzählungen, Dispersion des Subjekts, Dezentrierung des Sinns, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, Unsynthetisierbarkeit der vielfältigen Lebensformen und Rationalitätsmuster ‒ werden im Licht der Pluralität verständlich. Pluralität bildet auch die Leitlinie aller fälligen Transformationen überkommener Vorstellungen und Konzepte. Diese postmoderne Pluralität ist jedoch nicht mit der geläufigen und gefälligen Oberflächen-Buntheit gleichzusetzen. Sie geht tiefer und greift in Basisdefinitionen ein. Sie ist anspruchsvoller und härter als der gängige „Pluralismus“. Gleichzeitig wird diese Pluralität ständig von Uniformierungsprozessen bedroht. Ihnen muß gewiß jede Zeitdiagnose deskriptiv Rechnung tragen; normativ aber optiert die Postmoderne entschieden für die Gegenseite, für Pluralität. Deshalb kommt es so sehr darauf an, den harten, an Basisdifferenzen orientierten Begriff von Pluralität im Auge zu haben. Sein smarter Verwandter nämlich, der Pluralismus der Oberflächen-Buntheit, führt in seiner Potenzierung gerade zum Gegenteil von Pluralität: zur Uniformierung in den diversen Erscheinungsformen der Gleichgültigkeit, Indifferenz und Beliebigkeit. Während die Aufmerksamkeit auf einschneidende Differenzen die Pluralität wahrt und verteidigt, führt die Ankurbelung des Oberflächen-Pluralismus zu ihrer Tilgung. Hier verläuft eine klare Scheidelinie zwischen postmodernen und pseudopostmodernen Konzeptionen.
Wolfgang Welsch: Vorwort zur 3. Auflage, in: Unsere postmoderne Moderne, 3. Aufl., Weinheim 1991, S. XV.

 

Literatur

Wolfgang Welsch: Postmoderne. Pluralität als ethischer und politischer Wert, Köln 1988.

Gabriele Münnix: Zum Ethos der Pluralität. Postmoderne und Multiperspektivität als Programm, Münster 2004.

Odo Marquard: Freiheit und Pluralität, in: Skepsis in der Moderne. Philosophische Studien, Stuttgart 2007, S. 109-123.

Ralf Gisinger: Philosophien der Pluralisierung. Begegnungen des Politischen zwischen Gilles Deleuze und Jean-Luc Nancy, Paderborn 2020.